DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
anderer das Preisgeld von 25’000 Dollar einkassierte. Doch Schawinski glaubt zu wissen, warum er so knapp am Triumph vorbeischrammte: «Mit meinem Plädoyer für engere Beziehungen zu China war ich für den amerikanischen Geschmack eine Spur zu fortschrittlich.»
Nach einer Woche in piekfeiner Gesellschaft, trat Roger Schawinski in Jeans und mit einer Sporttasche auf die staubige Strasse hinaus. «Endlich frei!» rief er, und mit einer lässigen Handbewegung brachte er etwas Unordnung in seine getrimmten Haare. Dann bestieg er den nächsten Greyhound-Bus. «99 $ for 99 days» stand auf seinem Billett – eine tolle Gelegenheit, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten (diese Floskel klang damals noch überhaupt nicht abgedroschen) kennenzulernen.
Zufällig liefen ihm im kalifornischen Yosemite-Nationalpark ein paar schrägen Typen über den Weg. «Was seid ihr für komische Vögel?» haute er sie an und musterte unverblümt ihre Sandalen, die bunten Kleiderfetzen und die ausgefransten Haare.
«We are Hippies», antworteten sie freundlich. Wenn er mehr über ihre Bewegung erfahren wolle, müsse er unbedingt nach San Francisco reisen, genauer: in den Stadtteil Haight Ashbury.
«Okay», sagte der brave Student, und ein paar Tage später tauchte er ein in die Welt von Psychedelic-Shops, Love-ins und Flower-Power, wo an jeder Ecke für drei Dollar LSD-Pillen angeboten wurden. «Das ist sensationell», jubelte Schawinski mit geweiteten Pupillen, «darüber muss ich unbedingt berichten!»
Nach intensiven Ermittlungen über das epochale Phänomen setzte er sich bei seiner Gastfamilie hinter die Remington und warf seine Eindrücke aufs Papier. Am 22. September 1967 veröffentlichte die Weltwoche «Die blaue Blume von San Francisco», seinen ersten grösseren Zeitungsartikel. Weit hinten im Archiv ist noch ein vergilbtes Exemplar zu finden, und mit dem Enthusiasmus eines Höhlenforschers liest man von seiner damaligen Begegnung mit einem 18jährigen Mädchen: «Susan liebt die Menschen, für sie ist der Mensch das einzig Wichtige auf dieser Erde, deshalb gibt sie den Mitmenschen alles, was sie hat, – auch ihren Körper. Susan, sie wirkt im Gespräch sehr scheu und sanft, schläft mit allen männlichen Wesen ihrer Umgebung, die ihr sympathisch sind. Das Wort Treue im bürgerlichen Sinn ist ihr unverständlich, sie kann nur dem Menschen als Ganzen treu sein, nicht einem einzigen Individuum.»
«Die Hippiewelt ist eine Synthese zwischen unserer westlichen Kultur und derjenigen des Ostens», analysierte der 22jährige. Vor allem in der Musik äussere sich dieses Streben nach Vereinigung der beiden Geistesrichtungen: «Während die Rock’n-Roll-Musik als Vertreterin unserer westlichen Kultur durch den Tanz zu einer äusserlichen physischen Befreiung führt, ermöglicht die indische Musik diese Befreiung von innen her. Wenn der Mensch als Ganzes erfasst werden soll, so müssen diese beiden Komponenten vereinigt werden, und genau das ist das Streben aller Hippie-Musik.»
Der Text endet – typisch Schawinski – mit einem Statement: «Hippies sind optimistisch; fasziniert von der schnellen Verbreitung ihrer Bewegung sehen sie eine Hippie-Zukunft, in der die Liebe zum Menschen den heute herrschenden Egoismus besiegt hat.»
Gesellschaftlicher Höhepunkt im Schuljahr 1968 war der Hochschulball, und als Unterhaltungschef im Organisationskomitee war für Roger Schawinski sofort klar: Ein internationaler Star muss her, und zwar kein Geringerer als Francoise Hardy, die er heiss verehrte! Allen im Ohr waren ihre Hits «Tous les Garçons et les Filles», «Mon Amie la Rose» und «Des Ronds dans l’eau».
Um die Chansonnière seiner Träume zu finanzieren, stellte er flugs eine Gala-Modenschau auf die Beine, bei der er «neun sich konkurrenzierende und bis aufs Blut bekämpfenden Modehäuser in einer Show» vereinigte. Kaum hatte er genügend Sponsoren beisammen und Fernsehfrau Heidi Abel als Präsentatorin engagiert, kündigte er sich bei Francoise Hardy als Schweizer Journalist an und vereinbarte mit ihr einen Interviewtermin. Der Annäherungsversuch glückte, sie trafen sich in ihrer Pariser Wohnung in der Nähe des Gare St-Lazare.
Um sich Respekt zu verschaffen, stellte der Student besonders freche und kritische Fragen. Wie oft sie mit ihrem Freund täglich Liebe mache, schoss er los. Vielleicht interessiere ihn ja auch, wie oft sie Pipi mache, konterte die 24jährige enerviert und wollte die Übung schon abbrechen –
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