DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
So entsteht immer deutlicher der Eindruck einer Mannschaft, die ihrem Kapitän auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist – und die einzig und allein deshalb zusammenhält, um nicht abzusaufen.
Hilflos muss Queeg mitansehen, wie allmählich sein zweites Gesicht zum Vorschein kommt, das er selbst nie wahrhaben wollte. Kalt lief es dem Publikum in der Aula den Rücken hinab, als Roger Schawinski mit irrem Blick die beiden Stahlkugeln in seiner Hand aneinanderrieb.
Eindrücklich zeigte sich in diesen Szenen die gefährliche Ambivalenz zwischen Wirklichkeit und manipulierter Wahrheit, und wie Fakten durch geschickte Interpretation ihren Aussagewert verändern können.
Nur vier Tage nach der Premiere, am 6. Juni 1967, brach in Israel der Sechstagekrieg aus. Am Vormittag besuchte Schawinski noch eine Vorlesung, doch er vermochte sich nicht auf den Unterricht zu konzentrieren und wurde vom Professor wegen Ruhestörung vor die Tür gewiesen.
Mit dem Überraschungsangriff der arabische Armeen war für Schawinski die schlimmste aller Befürchtungen eingetreten. Und sofort war ihm klar: «Wir Juden lassen uns nicht noch einmal ohne Gegenwehr auslöschen wie bei Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg!»
Kurzentschlossen packte er Impfbüchlein, Pass und Schlafsack. «Ich kann nicht hier bleiben, während Israel zerstört wird», eröffnete er seinen Eltern, die ihren Sohn verzweifelt zurückhalten wollten. Trotzig riss er sich los: «Wenn Israel untergeht, gehe ich auch unter!»
Zusammen mit zwei Dutzend Freiwilligen bestieg er um halb elf Uhr den Nachtzug nach Paris. Als Panzersoldat (auf einmal war er froh, die Rekrutenschule in Thun trotz aller Widrigkeiten durchgestanden zu haben) wollte sich Schawinski den Aggressoren in den Weg stellen. Man warte nur noch auf ein Transportflugzeug, um die Widerstandskämpfer zusammen mit Waffen und Munition an die Front nach Israel zu fliegen, hiess es am Besammlungsort.
Es vergingen zwei Tage, da vernahm es Schawinski in den Nachrichten: Die israelische Armee stehe bereits am Suezkanal, habe eine zweite Front nach Jordanien eröffnet und werde demnächst Jerusalem einnehmen. Kurz: Statt des erwarteten Untergangs des gelobten Landes zeichnete sich ein militärischer Triumph ab.
Schawinski, der sei Leben in die Waagschale werfen wollte, kamen nun Zweifel an seiner Mission. «Auf einen kleinen Schweizer Soldaten warten die wohl kaum mehr», überlegte er – und kleinlaut löste er sein Retourbillett nach Zürich. Wegen seiner Extravaganzen fielen in St. Gallen Theatervorstellungen aus, warf er sich jetzt vor. Und im gleichen Moment dämmerte ihm: «Mein Weg ist in der Schweiz, und nicht in Israel, wo es keine zusätzlichen Helden wie mich braucht.»
Geblieben sei allerdings bis heute sein Gefühl, als Jude nie ganz in Sicherheit zu sein. «Irgendwie sitze ich immer auf dem gepackten Koffer», sagt Schawinski, auch wenn im Moment alles wunderbar erscheine. In vielen Angstträumen erlebe er sich als Teil des Holocaust. Deshalb versuche er, immer etwas hellhöriger zu sein für verräterische Zwischentöne bei seinen Mitmenschen. Diese Sensibilität habe aber einen entscheidenden Vorteil: «Dadurch sehe ich Entwicklungen viel schneller auf mich zukommen als andere!»
Die perfekte Voraussetzung für eine Karriere als Pionier!
Samstag, 1. Juli 1967: Um 17.15 Uhr setzt auf dem Chicagoer O’Hare Flughafen die Swissair-Maschine SR 160 auf. Auf einmal die Lautsprecherdurchsage: «Attention please! Can Mister Schawinski identify himself?» Ein Jüngling mit Kurzhaarschnitt erhebt sich und schreitet an allen anderen Passagieren vorbei zum Ausgang. Dort wird die Luke geöffnet, und unten an der Gangway wartet eine schwarze Limousine auf den Ehrengast, für den im Nobelhotel Palmer House bereits eine Suite reserviert sei.
Eine peinliche Verwechslung? Wie sonst ist der plötzliche Wirbel um den 22jährigen Studenten aus Zürich zu erklären, der noch niemals zuvor amerikanischen Boden betreten hat?
Mit einem Flugblatt im Schaukasten der Hochschule beginnt diese unglaubliche Geschichte: Der Lions Club St- Gallen suche Texte mit «Ideen zur Verwirklichung des Weltfriedens», hiess es da, ausgeschrieben sei hiermit der internationale Essay-Wettbewerb «Search for Peace».
Schawinski hatte gerade nichts Besseres vor, also setzte er sich – wie so oft in seiner Freizeit – an seine Schreibmaschine und räsonierte über das Gut und Böse auf dieser Erde.
«Das Problem des Friedens beschäftigt
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