DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
jüdischen Feiertag, an dem nach dem Fasten im engsten Kreis wieder «angebissen» wird.
«Mir ist übel», sagte Rachel plötzlich, und ihr Zustand verschlechterte sich stündlich in dieser Vollmondnacht. Ärztliche Untersuchungen zeigten Anzeichen einer Vergiftung – zunächst ohne ersichtliche Ursache. Als ihre Kräfte von Tag zu Tag schanden, verlegte man sie am Ende der Woche mit Vedacht auf Leberkrebs zu Spezialisten in die Universitätsklinik. Kleinere Eingriffe wurden vorgenommen, von Transplantation war die Rede.
Nach fünf Wochen rückte es der Professor heraus: Die Metastasen hatten sich bereits ausgebreitet. «Sieht so ein Todesurteil aus?» fragte Schawinski ernüchtert.
Die meiste Zeit verbrachte er an ihrem Bett, manchmal übernachtete er im Spital. «Das Wahnsinnige war, wie fröhlich sie blieb», sagt er, «meistens war sie es, die mich aufmunterte, und nicht umgekehrt.»
«Später werden wir sagen, weisst du noch, als ich krank war?» lachte sie auf der Fahrt zu einem Yoga-Lehrer mit heilerischen Kräften in Amden, in den sie ihre letzte Hoffnung setzte. In einer Alphütte liess sie sich mit Misteln therapieren. Noch einmal lebte sie auf, spielte Klavier und meditierte. Doch nach wenigen Tagen kam ein Telefon: Sie sei zusammengebrochen.
Im Spital hängten sie die Ärzte sofort an die Infusion, doch Rachel fiel immer tiefer ins Koma. Draussen war wieder Vollmond, und ihr Atmen hallte durch die Korridore. «Es war ein Rasseln, wie bei einer Ertrinkenden», vergleicht Schawinski, der zusammen mit ihren Kindern bis zuletzt an ihrer Seite ausharrte. «Ein letztes Mal hob sie ihren Arm und legte ihn mir um den Nacken», erzählt er erschüttert. «Sie mobilisierte übermenschliche Kräfte, um mir Adieu zu sagen.»
Nach Mitternacht, am 20. November 1991, war es plötzlich totenstill.
Wochenlang vegetierte Schawinski in seiner Wohnung und hörte klassische Musik – die ewig gute Laune auf Radio 24 konnte er nicht mehr ertragen. «Ich hatte das Gefühl, alles ist vorbei, ich werde im Leben nichts mehr erreichen und nie wieder eine Frau finden, die zu mir passt.»
Über Weihnachten heulte er sich an der Schulter seines Freundes Hanspeter Bürgin in Costa Rica aus, der dort als Südamerika-Korrespondent für den Tages-Anzeiger lebte. Dann stellte er in Esalen den Masseur zur Rede, der Rachel kurz vor Ausbruch ihrer Krankheit behandelt hatte. «Warum hast Du nichts gespürt», klagte er ihn an, «Du mit Deinem Einfühlungsvermögen?»
Einige Monate später lud Schawinski die engsten Angehörigen und Freunde von Rachel nach Maalot im Norden von Israel ein. Dort hatte er für rund 100’000 Franken eine Schule mitfinanziert, an der hauptsächlich jüdische Einwandererkinder aus Äthiopien unterrichtet werden. (Zu Äthiopien hat er seit seinem Engagement während der Hungerkatastrophe von 1984 ein inniges Verhältnis, als bei einer Spendenaktion von Radio 24 rund vier Millionen Franken zusammenkamen.) Feierlich wurde jetzt die Tafel mit der Inschrift «in memory of Rachel Mil» enthüllt.
Heute weiss Schawinski: «Selbst das Negativste hat noch eine positive Seite.» Denn ohne «Klärli» hätte er Gabrialla niemals kennengelernt, und erst durch sie habe er erlebt, dass selbst das schlimmste Tief nicht das Ende ist.
«Ich bin nun ein Überlebender», sagt Schawinski. «Was immer passiert, es haut mich nicht um!»
Als alles verloren scheint, kreuzen sich die Wege von Gabriella und Roger
«Stundenlag haben wir geredet, wir haben uns halb kaputtgeredet»
Es war ihre schwierigste Rückkehr in die Schweiz. Desillusioniert zog Gabriella Sontheim in die leere Wohnung im Seefeld zurück. «Ich hatte das Gefühl, alles hat keinen Sinn mehr.»
Wieder half eine Stellvertretung als Lehrerin über das Schlimmste hinweg – sie ersetzte einen an Kehlkopfkrebs erkrankten Lehrer. An einem trüben Samstagnachmittag im Februar 1993 rief Regula Bochsler an, eine alte Schulfreundin und Journalistin. «Ich habe mich von meinem Freund getrennt», sagte sie, «und ich bin heute abend an die Tele-Party eingeladen, kommst du mit?»
In Jeans und Cowboystiefeln kreuzte sie in Miller’s Studio auf, wo sich mehr und weniger prominente Medienleute in eine Schlange stellten, um am Buffet ein paar Happen auf ihren Plastikteller zu schaufeln.
«Schau, dort vorne steht Roger Schawinski», raunte auf einmal der Journalist Thomas Hämmerli mit einer Kopfbewegung in seine Richtung. Gabriella nahm es gelassen zur Kenntnis.
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