DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
Fernsehdienstes im Eidgenössischen Verkehrs- und Energiedepartement (EVED) reiste er mit einer Delegation nach Rom, um von den italienischen Behörden die unverzügliche Stillegung von Radio 24 zu fordern, falls der Sender vom Pizzo Groppera in die Schweiz einstrahle – spitzfindig berief er sich auf den bis anhin bedeutungslosen Artikel 423 im internationalen Radioreglement. Kurz darauf drohte Walpens Chef, Bundesrat Willi Ritschard, er dulde «keinen Radio-Wildwuchs» und gedenke notfalls mit Störsendern gegen Schawinski vorzugehen.
«Radio 24 eine Totgeburt?» titelte am 1. November 1979 die Berner Zeitung.
Aus heutiger Sicht waren die Attacken aus dem Bundeshaus das Beste, was Schawinski passieren konnte. Durch den «Schreckschuss vor den Bug von Schawinskis neuem Radiodampfer» (Tages Anzeiger) galt Radio 24 schon vor dem Sendestart als Staatsaffäre, und sämtliche Medien stürzten sich auf den furchtlosen Rebellen und seine Getreuen. Als am 12. November erste Testsendungen in den Äther gingen, berichtete der Blick fasziniert wie über die erste Mondlandung: «Kkkkkrrrrrchchch, jaul, piiiiiiii, krk, dann eine lässige Männerstimme: , und plötzlich fetzt Musik auf 101,6 Megahertz, dass einem die Ohren schlackern.»
In der Fernsehsendung Karussell kam es zum öffentlichen Kräftemessen zwischen Walpen und Schawinski. «Im übrigen braucht es gar nicht mehrere Radiostationen, wenn die eine die Gruppe Boney M. und die andere die Gruppe Baccara spielt», stänkerte der spröde Bundesbeamte.
Darauf hatte Schawinski nur gewartet: Offenbar sei das sein Hauptargument, sonst würde er es nicht bei jeder Diskussion erwähnen, spottete er und streckte ihm unter dem Applaus der jungen Zuschauer zwei Schallplatten als Geschenk entgegen – eine von Boney M. und eine von Baccara.
Am 28. November 1979, eine halbe Stunde vor Mitternacht, ging Radio 24 erstmals live auf Sendung. Doch Walpens Rache war süss: Bereits am nächsten Tag stellte er dem italienischen Postminister ein Ultimatum, und am 19. Dezember unterzeichnete dieser den Schliessungsbefehl gegen Radio 24. Schawinski war gerade auf dem Weg nach Como, als er die Nachricht im Auto hörte. Im Studio herrschte Untergangsstimmung.
«Das war’s dann wohl», seufzten Studiochef Christian Heeb und die anderen Pioniere mit hängenden Köpfen.
Es war gerade die Trostlosigkeit in den Gesichtern seiner Leute, die in Roger Schawinski das Feuer zum Widerstand entfachte. «Die Lage ist zwar hoffnungslos, aber nicht ernst!» scherzte er aufgekratzt und verteilte erst einmal die mitgebrachten Zigerkrapfen aus der Autobahnraststätte. Dann predigte er: Niemals, auch in der schwärzesten Stunde, dürfe man sich vom Gefühl der Auswegslosigkeit leiten lassen. Denn: «Wer fest an seinen Untergang glaubt, wird um so schneller untergehen!»
Nach kurzer, heftiger Debatte kehrte wieder Aufbruchstimmung ein: «So lange wir noch auf Sendung sind, müssen wir bei unseren Hörern einen Sturm der Entrüstung entfachen!» lautete jetzt die Devise, und knapp eine Stunde nach seiner Ankunft setzte sich Schawinski ans Mikrophon und rief mit erregter Stimme: «Helft uns! Wenn jetzt nichts passiert, ist in wenigen Tagen Feierabend!»
Das Echo war überwältigend: Unzählige Hörerinnen und Hörer versicherten den Radiomachern ihre Unterstützung. Als sich einer mit der Idee einer Unterschriftensammlung an den Bundesrat meldete, schaltete Schawinski blitzschnell. Wort für Wort diktierte er den Text der Petition «für ein freies Radio in der Schweiz»: «Wir fordern den Bundesrat auf, alle Aktionen gegen Radio 24 einzustellen. Der Bundesrat soll insbesondere seine Druckversuche in Italien aufgeben und die angedrohte Klage bei der Internationalen Fernmeldeunion nicht einreichen. Besonders schockierend wäre es, wenn der Bundesrat die PTT anweisen würde, Radio 24 zu stören.»
Was niemand für möglich gehalten hätte, wurde Realität: In nur fünf Tagen kamen 212’000 Unterschriften für das Anliegen der Radiopiraten zusammen. «Es ist unglaublich», triumphierte Schawinski, «bei den Jugendlichen ist eine totale Radio-24-Hysterie ausgebrochen!»
Wie schwer es fiel, sich von diesem Phänomen nicht beeindrucken zu lassen, zeigte die verzweifelte Suche der Neuen Zürcher Zeitung nach einem Vergleich: «Aus bedeutend ehrbareren Motiven und Gefühlen und in einer ganz anderen, rechtlich untadeligen Situation haben im Frühling 1972 die Freunde der traditionellen
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