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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
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noch schwer, an die nächtlichen Strafaktionen zurückzudenken, vor allem an Max mit seinem grausamen Erfindungsreichtum.
    »Ich bin der Arm Gottes«, hatte Dietmar gepredigt, »und Max ist mein Schwert.«
    Niemand hatte daran gezweifelt. Jeder hatte sich unterworfen.
    Auch Ben.
    Er besaß nicht die Stärke, die er gebraucht hätte, um sich zu wehren. Und nicht den Mut. Dennoch geriet er wieder und wieder mit dem zehn Jahre älteren Max aneinander.
    Max hatte es auf Mina abgesehen, von Anfang an. Es kümmerte ihn nicht, dass er verheiratet war und Kinder hatte. Er stellte Mina nach. Begrapschte und beleidigte sie.
    Ben konnte nichts dagegen tun.
    Das änderte sich, als er Karate lernte. Heimlich. Die Stunden verschlangen das bisschen Geld, das er sich nebenher verdiente, doch das war es ihm wert. Sein Selbstbewusstsein wuchs. Seine Körperhaltung veränderte sich.
    Von da an hielt er Max in Schach, brauchte nicht einmal mit ihm zu kämpfen. Das Schwert Gottes hatte von ganz allein seine Schärfe verloren.
    Mina hatte sich, ebenfalls heimlich, für Tai Chi Chuan entschieden. Die sanften, schönen Bewegungen waren wie geschaffen für sie. Meditation verlieh ihr Stärke und Ausgeglichenheit. Zumindest für einige Zeit.
    Manchmal hatte Ben den Eindruck gehabt, sie entwickle sich zu einer richtigen Kämpferin. Doch immer wieder war sie in ihre alten Verhaltensmuster zurückgefallen.
    »Und wenn ich verrückt werde, Ben?«
    Wie oft hatte sie ihn das gefragt.
    »Du wirst nicht verrückt«, hatte er sie getröstet. »Du bist manchmal ein bisschen durch den Wind. Das ist alles.«
    »Durch den Wind.« Sie hatte matt gelächelt. »Wie lustig das klingt. Dabei ist es furchtbar, Ben. Ich denke komische Sachen. Ich tue Dinge, an die ich mich später nicht erinnern kann. Und manchmal finde ich fremde Kleider in meinem Schrank.«
    Vielleicht ist sie schizophren, hatte er mit einem leisen Schrecken gedacht. Und sich gleich darauf selbst beruhigt. Na und? Das war kein Todesurteil. Wenn man Astronauten auf den Mond schießen konnte, würde man doch auch Mina helfen können.
    Aber sie hatte sich geweigert, zum Arzt zu gehen. Erst vor zwei Jahren hatte sie sich an Tilo Baumgart gewandt. Von ihrer Therapie hatte sie Ben nichts erzählt. Ihre Stimmungen waren weiterhin nach oben geschnellt und abgestürzt. Himmelhoch jauchzend. Zu Tode betrübt.
    Für Ben und seine Gefühle war kein Raum geblieben. Er hatte sich nicht beklagt. Hauptsache, es ging ihr besser, hatte er gedacht. Irgendwann. Irgendwie. Er hatte Zeit. Er würde warten.
    Ben streckte sich, gähnte und stand auf. Er hatte sich vollständig angezogen hingelegt, um sofort bereit zu sein, wenn es notwendig sein sollte. Es war absolut still. So still, dass es ihn fast beunruhigte. Aber er ließ das Gefühl nicht zu. Solange die Mädchen voneinander getrennt waren, würden sie es nicht wagen zu fliehen.
    In der Küche trank er ein Glas Leitungswasser. Es schmeckte nach Chlor, doch das machte ihm nichts aus. Er beschloss, sich draußen ein bisschen umzusehen. Sicher war sicher.
    Der Wagen war vom Weg aus nicht zu erkennen. Die zurückgeklappten Fensterläden und der Rauch, der aus dem Schornstein stieg, waren ein Problem, aber kein schwerwiegendes. Das Haus war ein Ferienhaus. Niemand würde sich darüber wundern, wenn es auch mal genutzt wurde. Sollte jemand Fragen stellen, konnte Ben behaupten, es gemietet zu haben.
    Von einem Garten wie diesem hatte er als Kind geträumt. Groß, verwunschen und voller versteckter Schätze. Da war ein kleiner, fast zugewachsener Teich. Eine verwilderte Rosenhecke. Unter Grasnarben versteckt, lagen gepflasterte Wege. Ben stieß auf steinerne Figuren, auf eine von Efeu überwucherte Laterne.
    Ein Garten, wie geschaffen für ein Liebespaar, einsam gelegen, fast wie in einer anderen Welt.
    Ben setzte sich auf die moosige Steinbank. Er fühlte sich frisch und ausgeruht. Jetzt endlich konnte er nachdenken. Die Situation hatte ihn überrumpelt. Er hatte nicht vorgehabt, sich mit drei Mädchen in einem fremden Haus zu verschanzen. Er hatte nur Mina gewollt. Er musste sich darüber klar werden, was nun zu tun war.
    Mina.
    »Wer bist du?«, murmelte er. »Und wie stehst du zu mir?«
    Er hatte nie gedacht, dass er jemals an ihr zweifeln würde.
     
    Merles Eltern hatten ihre Tochter schon seit Monaten nicht mehr zu Gesicht bekommen.
    »Wir haben kaum noch Kontakt«, hatte ihr Vater am Telefon gesagt. »Das Mädchen hat sich in eine Richtung entwickelt, die uns
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