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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
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gelegen. Und das Grinsen, mit dem er Gelassenheit demonstrieren wollte, war ihm nicht gelungen.
    »Hände weg vom Fenster«, hatte er gesagt. »Wenn ihr abhaut, wird Mina es ausbaden.«
    Doppelbett, Schrank, Tisch und zwei Stühle. Weiß gestrichene Wände mit einer Zierleiste aus fleißig gepinselten Efeuranken. Das Fenster war mit einer schmuddeligen Gardine verhängt. Ein hoher Baum draußen nahm dem Raum alles Licht.
    Merle saß im Schneidersitz auf dem Bett. Sie hatte schon eine ganze Weile nichts mehr gesagt. Ich sah ihr an, dass sie grübelte. Wenn jemand einen Ausweg aus diesem Wahnsinn fand, dann sie.
    »Er ist nicht der Typ, der leere Drohungen ausstößt«, sagte ich.
    »Eben.« Merle nagte an der Unterlippe. »Das macht es so schwierig.«
    »Aber er liebt sie doch.«
    »Er liebt Mina.« Merle betupfte ihre Lippe und betrachtete abwesend den kleinen Blutstropfen auf ihrer Fingerkuppe. »Ich bezweifle, dass er für den Rest des Teams auch nur einen Funken Sympathie aufbringen würde.«
    Darüber hatte ich mir auf der ganzen Fahrt den Kopf zerbrochen. Dass Ben seine Kindheit mit Mina verbracht hatte,  ohne zu merken, was mit ihr los war. Wahrscheinlich hatte er jeden Switch als Launenhaftigkeit interpretiert. Oder als eine weitere faszinierende Seite des Mädchens, in das er sich verliebt hatte.
    »Wenn ich an Cleos letzten Auftritt denke …« Merle lutschte das Blut von ihrem Finger. »Du weißt doch, wie nah Liebe und Hass beieinanderliegen. Kann es nicht sein, dass er sich an Mina rächen will? Dafür, dass sie ihn verlassen hat? Für die Zurückweisung? Für den großen Schmerz, den sie ihm zugefügt hat?«
    Ich hatte mir geschworen, die Angst nicht an mich heranzulassen. Das war nicht leicht, wenn man in der Falle saß.
    »Ich glaube, er schwankt zwischen seinen Gefühlen hin und her«, überlegte Merle. »Er hat sich noch nicht entschieden.«
    »Weil er zu erschöpft ist.«
    Ich setzte mich zu Merle aufs Bett. Ihre Nähe zu spüren, half mir in meinem Kampf gegen die Panik.
    »Er kann im Augenblick keinen klaren Gedanken fassen.«
    »Da geht es ihm wie mir.« Merle gähnte. »Ist es nicht komisch, dass man in der größten Gefahr stecken kann und nur einen Wunsch hat - nämlich endlich zu schlafen?«
    »Nein. Finde ich nicht.«
    Ich hob die Wolldecke vom Fußende auf und faltete sie auseinander. Sie roch nach nassem Hund und war steif von Schmutz, aber sie würde uns wärmen. Und trösten vielleicht.
    »Schlaf ein bisschen. Ich pass auf dich auf.«
    Merle legte sich hin und machte die Augen zu. Ich breitete die Decke über uns aus. Schmiegte mich an meine Freundin und hielt Wache.
     
    Auf dem Weg zu Marlene Kronmeyer hielt Bert an einem Café an und bestellte sich einen Cappuccino. Die Begegnung mit Imke Thalheim steckte ihm noch in den Knochen. Er hatte ihren Schmerz gespürt, als wäre es sein eigener gewesen. Und er hatte sich schuldig gefühlt. Es hätte nicht so weit kommen dürfen.
    Imke Thalheim hatte ihm keinen brauchbaren Hinweis geben können. Insgeheim hatte Bert auch gar nicht damit gerechnet. Er versprach sich ebenso wenig von den bevorstehenden Unterhaltungen mit Minas Mutter und Ben. Dennoch war seine ganze Hoffnung darauf gerichtet.
    Im Kopf listete er auf, was noch zu tun und was bereits erledigt war. Es gab in den Reihen der Wahren Anbeter Gottes einige, die er sich nach der veränderten Lage der Dinge gründlicher vornehmen wollte. Die Suchaktion nach den Mädchen hatte er eingeleitet. Das Kennzeichen von Jettes Wagen war bundesweit an sämtliche Polizeidienststellen durchgegeben worden. Ebenso Fotos der Mädchen, die Bert bei der Durchsuchung ihrer Wohnung aus einer Fotocollage an der Wand im Flur entfernt hatte. Auch die Presse war informiert.
    Nach dem Gespräch mit Marlene Kronmeyer und Ben Bischop würde Bert noch Merles Eltern anrufen, die zu weit entfernt wohnten für einen Besuch. Danach konnte er sich mit Isa zusammensetzen, um die neue Entwicklung zu besprechen. So unterschiedlich ihr Blick auf die Dinge auch sein mochte - in der Summe ergaben die Schlüsse, die sie zogen, womöglich ein komplettes Bild.
    Er schaute sich in dem Café um. Vier alte Damen beim Kaffeeklatsch, andächtig über ihr Stück Torte gebeugt. Zwei Mädchen, die kichernd ihre ersten Zigaretten rauchten. Ein junger Mann vor einem Laptop, dem es gelang, ein überbackenes Baguette zu essen, während er nebenher tippte und  telefonierte. Zwei Vertreter, die bei einem schnellen Salat Verkaufsstrategien
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