0730 - Ssacah-Virus
Tokio, Firmenzentrale von FUNLAB CO, Kreativlabor
»Brrrr«, machte Yuki.
Voller Abscheu betrachtete das Girl die monströse Kobra, die gerade ihre Zähne in einen verzweifelt sich wehrenden Polizisten schlug. Zum Glück spielte sich die gruselige Szene nur auf einem Computerbildschirm ab.
Die junge Japanerin im Plastik-Minirock, Pokemón-Shirt und mit leuchtend blauem Haarschopf war gerade dabei, Aufgaben suchend durch das Großraumbüro zu streifen.
Millionen Fans aus aller Welt hätten ihre Spielkonsole zerhackt, um einmal einen Blick in dieses geheime Labor der Unterhaltungsindustrie werfen zu können.
Hier wurden die coolsten neuen Trendspiele angedacht, kreiert, durchgespielt und auf Herz und Nieren - beziehungsweise auf Bit und Byte -geprüft, bevor man sie mit millionenschweren Werbekampagnen auf den stets hungrigen Markt warf.
In den Kreativlabors von Tokio heckte man Figuren aus, die jedes Kind in den Industriestaaten kannte, von Pac-man über Super Mario Brothers bis Parappa.
Yuki konnte den Blick ihrer Mandelaugen nicht von dem Geschehen auf dem Bildschirm abwenden. Mit einer Mischung aus Faszination und Ekel musste sie miterleben, wie dieses Kobra-Monster den inzwischen halb toten Polizisten mit sich in ein Abflussrohr gezerrt hatte. Dort warteten bereits weitere Monstren, unaussprechlich widerwärtige Kreaturen, auf den sich windenden Schlangendämon. Waren sie Verbündete oder Feinde der Kobra?
Um das zu erfahren, hätte Yuki nur ihre schön geschwungenen Lippen öffnen müssen. Der Erfinder des Spiels SNAKOMANIA saß vor ihr, nur einen halben Schritt von ihr entfernt.
Doch obwohl die junge Japanerin nicht auf den Mund gefallen war, hätte sie es nie gewagt, Satish Paisa einfach anzusprechen.
Dabei sah der junge indische Computerprogrammierer alles andere als Furcht einflößend aus. Er wirkte geradezu bieder und spießig. Nicht nur im Vergleich zu Yuki, die jeden Tag mit schrillen Klamotten aus Tokios In-Shops bei der Arbeit antanzte. Auch die meisten japanischen Spieleerfinder kleideten sich so exzentrisch, als wären sie ihren selbstgeschaffenen virtuellen Welten entsprungen.
Satish Paisa hingegen erschien stets in dunkler Bundfaltenhose und weißem, kurzärmligem Hemd bei FUN-LABCO. Dass er keine Krawatte trug, war offenbar schon sein äußerstes Zugeständnis an die lockere Arbeitsatmosphäre um ihn herum.
Er hatte sein schwarzes Haar ordentlich gescheitelt. Unter seiner geraden Nase befand sich ein gepflegter Schnurrbart. Doch seine Augen, die Yuki an zwei Kohlestücke erinnerten, waren absolut unheimlich. Jedenfalls nach Meinung der neunzehnjährigen Japanerin.
Satish Paisa war offenbar gerade dabei, die neueste Version seines SNAKOMANIA 2.0 einmal komplett durchzuspielen.
Doch plötzlich drehte er sich abrupt um.
Yuki erschrak.
Er fixierte sie mit seinem Mörderblick.
»Gefällt dir mein Spiel nicht?«
Yuki schluckte trocken. Obwohl sie sich einem Großraumbüro mit dreißig Personen - Männern und wenigen Frauen - befand, fühlte sie sich plötzlich mutterseelenallein.
Es war, als wäre sie allein mit Satish Paisa auf einer einsamen Insel. Hilflos und seinem Willen ausgeliefert.
Eine Vorstellung, die ihr absolutes Grauen verursachte. Mehr noch als die blutrünstige Handlung des Computerspiels. Yuki war eben mit einer blühenden Fantasie gesegnet. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie selbst Spieleprogrammiererin werden wollte.
Die anderen Jungs hier in der Kreativschmiede waren ja wirklich sehr nett. Wenn es einen nicht störte, dass man kein vernünftiges Wort mit ihnen reden konnte.
Nur dieser Satish Paisa - das war ein absoluter Horrortyp. Yuki verfluchte sich dafür, dass sie um seinen Schreibtisch nicht einen großen Bogen gemacht hatte.
Aber nun hatte er sie angesprochen. Da würde sie auch reagieren müssen.
»W… warum sollte mir dein Spiel nicht gefallen?«
»Du hast ›brrrr‹ oder so etwas gesagt. Ich habe es ganz deutlich gehört.«
Yuki biss sich auf ihre rot angemalte Unterlippe. Während die Panik in ihr aufstieg, versuchte sie, möglichst ruhig zu bleiben. Sie beschwichtigte sich selbst mit besänftigenden Gedanken.
Dieser Satish Paisa konnte ihr nichts anhaben, absolut nichts. Er hatte hier bei FUNLABCO nicht mehr zu melden als die anderen Programmierer. Die Jungs wurden zwar märchenhaft bezahlt, aber die Entscheidungen wurden bei FUNLABCO woanders getroffen. Die Spieleerfinder durften Spiele erfinden und hatten ansonsten die Klappe zu
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