Der Schimmer des Ledger Kale
Bomba. Eigentlich konnte er derzeit aber nicht mal seinen eigenen Sessel von der Stelle bewegen. Doch es gab keine andere Erklärung. Irgendwie musste er die Kraft aufgebracht haben … oder sich den Löwenanteil davon geborgt haben.
Wütendes Hundegekläff in der Ferne lenkte meine Aufmerksamkeit von dem eigenwilligen Wasserlauf ab. Ich folgte dem Geräusch, sah nach Westen und erblickte Mr Cabot; er stieg gerade diesseits des Flusses aus seinem Wagen. Wegen des Staubschleiers in der Luft war nur seine Silhouette zu sehen, aber die auf einen Stock gestützte Gestalt war unverkennbar. Sein gelber Cabot -Schutzhelm leuchtete wie ein Warnsignal.
Mr Cabot blieb vor dem Insektenhaus stehen, wo er bald von einem Trupp blöde glotzender Arbeiter und einem Tross schwerer Maschinen umgeben war. Die Motoren wurden einer nach dem anderen ausgestellt. Mr Cabot schien darauf zu warten, dass ein Hindernis aus dem Weg geräumt wurde.
»Halt, Daddy!«, schrie SJ. Wir änderten unsere Laufrichtung, verließen den Schotterweg und rannten querfeldein auf das Insektenhaus zu – auf Mr Cabot, zwei Planierraupen, drei LKWs, einen Schaufelbagger und einen Radlader. Opa hatte die Ufer des Kanals an einer Stelle zu eng aneinanderstoßen lassen; dort floss der Großteil des Wassers unterirdisch. Es war nur eine kleine Lücke in der Abwehr, aber immerhin eine, die den Abrissfahrzeugen – und jetzt uns – die Überquerung des Wassers ermöglichte.
Cabot drehte sich um, als er den Schrei seiner Tochter hörte. Ich entdeckte Bitsy. Sie hatte sich mit all ihren drei Beinen wie ein gar nicht mal so schlechter Wachhund vor dem Gebäude mit dem Glasdach aufgebaut. Das Nackenfell gesträubt. Die Zähne gefletscht. Der Hund, der sonst Flusskrebse ableckte und sich mit Vogelspinnen verbrüderte, sah aus, als wäre er bereit, den Hosenboden aus Noble Cabots Hose herauszureißen.
Aber Bitsy stand nicht allein in diesem Kampf. Zwei weitere Gestalten hatten sich zwischen Cabot und dem Insektenhaus aufgepflanzt und behaupteten die Stellung gegenüber einem augenscheinlich übermächtigen Gegner. Direkt hinter Bitsy hatte sich Opa Bomba aufgebaut, und er sah stärker aus als je zuvor. Seine alten Muskeln waren zwar welk und verschrumpelt wie eh und je, aber er wirkte keineswegs mehr wie jemand, der kurz davor war, in die ewigen Jagdgründe einzugehen.
Die dritte Gestalt war Samson – aus Fleisch und Blut und so was von sichtbar.
Samson kniete halb neben Opa Bomba, sein zarter Körper war angespannt und er hielt Bitsy fest; der spätnachmittägliche Wind peitschte ihm seine langen Haare ins Gesicht. Samson sah genauso aus wie in meinen vorherigen flüchtigen Visionen, nur dass er jetzt nicht mehr die Spur durchsichtig war. Er zeigte sich in seiner ganzen Gestalt und war in die Bresche gesprungen, um Opa und Bitsy den Rücken zu stärken.
Samson stützte sich auf sein Knie und versuchte mit einer Hand, Bitsy zu bremsen. Die wollte sich kläffend auf Cabot und seine Männer stürzen und bewies damit, was für ein Hund sie sein konnte – treu und tapfer wie eh und je, auch wenn ihr ein Bein fehlte. Mit der anderen Hand umfasste Samson Opas Arm so, dass man nicht erkennen konnte, ob Samson Opa Bomba stützte oder umgekehrt. Das hagere Gesicht meines Cousins wirkte sehr konzentriert. Opa seine Kraft zu übertragen forderte ihm alles ab – nicht nur seine Unsichtbarkeit. Es war schon eine komische Heldentruppe, die sich da zusammengefunden hatte, um die Tiere im Insektenhaus zu verteidigen.
Die Goliathkäfer, Stabheuschrecken und Schmetterlinge konnten nicht wissen, dass ihr gut behütetes Zuhause vom Abriss bedroht war, womit sie alle in eine Welt entlassen würden, auf die sie nicht vorbereitet waren und die womöglich auch nicht auf sie vorbereitet war.
Ich kannte dieses Gefühl nur zu gut. Aber ich wusste auch genau, was es bedeutete, andere zu haben, die für mich einstanden.
»Halt, Daddy!«, schrie Sarah Jane erneut und ergriff die Hand ihres Vaters, als sie völlig atemlos bei ihm ankam.
»Sarah Jane! Wie kommst du denn hierher?« Cabot schüttelte ihre Hand ab; sein Gesicht zuckte, und als er mich sah, lief er dunkelrot an. Ich dachte, sein Kopf würde jeden Moment explodieren. Dann hörten wir hinter uns Rufe, und die Mädchen tauchten auf dem Nordhügel auf. Die Zwillinge mussten die Staubwolke gesehen und ebenfalls das Grollen der Erde gespürt haben. Marisol und Mesquite rannten, ihre schweren Rucksäcke polternd hinter sich
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