Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
nicht zu leben. Oder wie immer man das nennen sollte. Aber Hannahs Hand schloss sich fest um seine.
Sie sah zu Bergmann, der in Begleitung von sechs Polizisten aus der Tür des Bunkers kam. Zwei hatten seine Arme genommen, zwei gingen vor und zwei hinter ihm.
»Guck nicht hin.«
Hannah konnte es nicht lassen. Niels sah weg. Er hatte so unendlich oft gesehen, wie die Geschichte eines Menschen enden kann. Wie ihm die Zukunft genommen wird. Zu oft. Ihre Bli cke, der Ausdruck in ihren Augen biss sich für immer in einem fest.
»Guck nicht hin«, wiederholte er.
»Warum hat er N ein gerufen?«
Niels antwortete nicht. Er richtete sich im Krankenwagen auf. Ließ sich von dem Arzt untersuchen. Hannah gab sich selbst die Antwort:
»Er hat etwas gesehen. Etwas in deinen Augen. Er hat gesehen, was du erlebt hast … als du tot warst?«
»Hannah …«
»Nein, ich will es wissen.«
Niels zögerte. Wollte den Mund öffnen, entschied sich dann aber dagegen.
»Können wir eine Vereinbarung treffen?«
»Ja.«
»Ich antworte auf eine Frage. Nur eine. Und dann reden wir nie wieder darüber.«
»Warum?«
»Ist das deine eine Frage?«
Hannah dachte nach. »Du bist ein starrköpfiger Mann, weißt du das?«
»Ist das deine Frage?«
»Nein.«
»Was fragst du dann?«
»Was hast du gesehen, was ihn zum Schreien gebracht hat?«
»Ich habe das gesehen, was er die ganze Zeit über gewusst hat.«
»Und was war das?«
Niels streckte seinen Arm aus, damit der Arzt seinen Blutdruck messen konnte.
»Für ein Mathegenie kannst du erschreckend schlecht zählen.«
MONTAG
42.
Polizei Nordseeland – Gentofte, 20 . Juni 2011 , 10.00 Uhr
Es wurde viel darüber geredet, was Niels in den Minuten erlebt hatte, in denen er klinisch tot gewesen war. Eine der Sekretärinnen des Präsidiums zeigte ihm Artikel über das Nachleben und versuchte ihn mit Behauptungen aus der Regenbogenpresse zu locken. Sogar Sommersted konnte sich die Frage nicht verkneifen.
»Wie war es?«
»Wie war was?«
»Bentzon, verdammt. Das große Mysterium. Das, was wir alle fürchten.«
Niels zuckte mit den Schultern und ging in sein Büro. Hinter seinem Rücken wurde getuschelt. Dass er nicht der Gleiche wie früher sei. Der war fünf Minuten tot . Und hat seither nichts gesagt. Total verschlossen. Aber das war Blödsinn. Niels Bentzon war schon immer verschlossen gewesen.
Hannah zog ihn auf. Sie sagte, er tue nur so geheimnisvoll, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Niels lächelte darüber und schüttelte den Kopf, während er den Kleinen, die immer größer wurden, Elvis-Lieder vorsang.
***
Sowohl Sommersted als auch Leon und Niels sollten an der Besprechung teilnehmen, mit der der Fall Adam Bergmann abgeschlossen werden sollte. Leon und Niels, weil sie direkt betroffen waren und ihren Teil zur Aufklärung beitragen konnten. Und Sommersted nahm wegen der vielen Implikationen teil: Verrat von militärischen Geheimnissen, Mordversuch und Doppelmord hatten dem Fall oberste Priorität verschafft. Ein Verbindungsoffizier vom militärischen Nachrichtendienst war auch anwesend. Niels konnte ihn nicht leiden. Arroganz verkleidet als Freundlichkeit stand nur wenigen Menschen, dieser Verbindungs offizier gehörte nicht dazu. Das komplette Gegenteil war der Polizist, der den Mord an Bergmanns Frau bis zu seiner Pensionierung untersucht hatte. Er hatte nichts Falsches an sich, war echte Ware, dachte Niels, ein Polizist, der nicht loslassen konnte. Der Mord an Maria Bergmann war der Fall seines Lebens. Fast alle Polizisten hatten einen Fall, der für sie wichtiger als alle anderen war und an den sie sich noch am Tag ihres Todes erinnerten. Manche schrieben Bücher darüber, wenn sie in Pflegeheimen saßen und die Zeit totschlagen mussten. Worüber würde er schreiben? Niels’ Gedanken wurden unterbrochen, als einer der Chefs sich an ihn wandte.
»Bentzon. Wie war das …«
Der Mann kam ins Stocken. Räusperte sich. Begann aufs Neue: »Eine Frage zu Bergmann. Wie ich aus dem Bericht entnehmen kann, hatte er eine Art Zusammenbruch, nachdem er Sie wiederbelebt hatte?«
Niels nickte. Ließ den Blick durch den anonymen Raum schwei fen, in dem sie sonst Verhöre abhielten. Ein blank polierter Tisch. Stühle, gegen die niemand etwas haben konnte. Und draußen: das Kreischen von bremsenden Zügen, die in den etwas entfernten Bahnhof einfuhren. Zug, dachte Niels. Dicte van Hauen war auf die Schienen gesprungen. Wir fangen am Ende an. Er hob den Blick. Blicke musterten ihn.
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