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Der schlafende Engel

Der schlafende Engel

Titel: Der schlafende Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia James
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dass ihr eigener Vater ihren Ehemann getötet hatte? Den Mann, den sie geliebt hatte? Ihre Miene sprach Bände – sie war kalt und versteinert. Wutverzerrt.
    »Vielleicht hast du mich ja nicht verstanden.« Silvias Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Ich sagte, lass sie los.«
    Thomas zuckte mit den Achseln und ließ April fallen. Während sie zu Boden glitt, bemerkte sie, dass der sogenannte Rat des Lichts sich hinter Silvia versammelt hatte.
    »Oh, so ist das also, ja?«, lachte Thomas. »Du planst einen Staatsstreich und versuchst, mir meine Machtbasis wegzunehmen. Tja, dafür ist wohl ein wenig mehr nötig …«
    Mit unfassbarer Geschwindigkeit überwand Silvia die Distanz zwischen ihr und ihrem Vater und grub ihre Zähne in seinen Hals, bevor er auch nur Gelegenheit hatte, ein weiteres Wort zu sagen. Oh Gott, Mum, bitte nicht , dachte April, doch sie wusste, dass es zu spät war, viel zu spät. April konnte nur entsetzt mitansehen, wie dunkelrotes Blut zwischen den Fingern ihres Großvaters hervorquoll und er langsam in sich zusammensackte. Aber wie ist das möglich ?, fragte sie sich erschüttert. Er ist doch der König der Vampire. Wie konnte Silvia ihn töten? In diesem Moment schien der Bann zu brechen, und April schrie auf.
    »Nein!«, rief sie schluchzend, doch Silvia war bereits bei ihr, schlang die Arme um sie und drückte sie an ihre Brust, während April von heftigen Schluchzern geschüttelt wurde.
    »Nicht hinsehen, Schatz«, flüsterte sie und strich April übers Haar. »Es ist vorbei. Endgültig vorbei.«

Dreißigstes Kapitel

    V om Zimmer im dritten Stockwerk des Krankenhauses konnte April auf den Friedhof blicken, der im hellen Sonnenlicht förmlich zu leuchten schien. Dass man das Krankenhaus direkt neben dem Friedhof bauen konnte … offenbar war hier ein Stadtplaner mit einem etwas makabren Sinn für Humor ans Werk gegangen. Oder war es reiner Zufall? Sie beugte sich vor und wischte ihren Atem von der Fensterscheibe. Vor einer scheinbaren Ewigkeit hatte ein Monster mit rotgeränderten Augen und irrem Gelächter sie in diesen Friedhof gejagt – ein Vorfall, der ohne Weiteres in einer Tragödie hätte enden können; stattdessen spürte sie, wie sich beim Gedanken daran eine köstliche Wärme in ihrer Brust ausbreitete. In dieser Nacht hatte Gabriel sie gefunden und geküsst, während die Schneeflocken vom Himmel geschwebt waren. Und er hatte ihr gestanden, dass er sie liebte.
    »Wieso lächelst du?«, fragte Gabriel.
    »Ich dachte nur gerade, wie nett es ist, dass du zur Abwechslung einmal der Patient bist und ich dich besuchen komme«, sagte sie und drehte sich wieder zum Bett um. »Ich hätte dir ein paar Weintrauben mitbringen sollen, aber wahrscheinlich hättest du sie mit dem Arm in der Schlinge sowieso nicht essen können.«
    »Bewegen kann ich ihn schon«, murrte Gabriel und zog den Verband um seinen Kopf ein Stück zur Seite. »Und die Wunde hier ist auch beinahe verheilt.«
    »Das weiß ich, aber diesmal machen wir es, wie es sich gehört. Normale Menschen gehen ins Krankenhaus, wenn sie eins übergezogen bekommen haben, und normale Menschen brauchen Verbände und Schlingen, und von jetzt an wirst du normal sein, Gabriel Swift, ob du es nun willst oder nicht.«
    »Aber ich …« Er senkte die Stimme. »Aber eigentlich bin es nicht, oder?«
    »Nein, das bist du nicht.« Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Schulter. »Du musst nur so tun, bis die Polizei uns abkauft, dass wir uns diese ganze Geschichte nicht bloß ausgedacht haben.«
    »Was wir aber getan haben.«
    April nickte.
    »Was wir aber getan haben.«
    Aber was blieb ihnen anderes übrig? Kein Mensch hätte ihnen die Wahrheit abgekauft. Wer würde schon glauben, dass ihre Mutter als Geschöpf der Nacht geboren worden war und ihren eigenen Vater getötet hatte, um zu verhindern, dass er – und seine Gefolgschaft – die Weltherrschaft ergriff?
    Die Erinnerung an jenen Moment dämpfte Aprils gute Laune schlagartig. Ihr Großvater, reglos inmitten einer dunklen Blutlache … hatte er tatsächlich ihren Vater getötet? Ja, er hatte es zugegeben … besser gesagt, er hatte sogar voller Stolz damit geprahlt. Und dann hatte er versucht, sie zu töten – auch das konnte sie nicht vergessen, ebenso wenig wie den Ausdruck in seinen Augen, den Irrsinn, den Hass und die Gier. Weshalb fiel es ihr nur so schwer? Weshalb konnte sie nicht akzeptieren, dass ihr heiß geliebter Grandpa der Bösewicht dieser Horrorgeschichte war?

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