Der schlafende Engel
Telefon auf die Matratze fallen, starrte an die Zimmerdecke und fragte sich, wie oft ihre Mutter in diesem Bett in diesem Zimmer gelegen und exakt auf dieselbe Stelle gestarrt hatte. Wie hatte sie sich damals gefühlt? Genauso wie April jetzt gerade?
Aprils Zimmer, wenn man es so bezeichnen wollte, war ein feudaler Raum im ersten Stock mit Blick auf die Straße. April lächelte beim Gedanken daran, wie Silvia hier und in ähnlich luxuriösen Häusern in Belgravia und St. James’s aufgewachsen war. Wie hatte sie sich mit dieser Herkunft und Grandpas endlosen Beteuerungen, seine Tochter sei »mein kleiner Liebling, meine Prinzessin«, zu so einem Menschen entwickeln können – Silvia war arrogant, versnobt und rücksichtslos. Ach ja, und unbeherrscht. In Aprils Gegenwart war Grandpa Thomas der reizendste Mensch auf Erden, doch sobald er und Silvia aufeinandertrafen, war es, als werfe man ein brennendes Streichholz in eine Feuerwerkskörper-Fabrik.
April musste lachen: Wahrscheinlich rührten die Risse in der Zimmerdecke von ihren endlosen Schreiduellen und Gegenständen her, die sie vor Wut durch den Raum geschleudert hatte. Doch ihr Lächeln wich einer tiefen Traurigkeit, als sie an ihre Mutter dachte. Sie hatte schreckliche Gewissensbisse, weil sie sie ganz allein in Highgate zurückgelassen hatte, aber was hätte sie denn sonst tun sollen? April wusste, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war, aber das machte es nicht einfacher. Wenn sie ehrlich sein sollte, fühlte auch sie sich schrecklich einsam. So wenig Silvia als Mutter taugen mochte, war sie immerhin da – zumindest die meiste Zeit. Allmählich hatte April das Gefühl, sich auf überhaupt gar nichts mehr verlassen zu können. Es war, als wäre sie mitten in der Nacht auf offener See über Bord gegangen und müsse zusehen, wie sich das Schiff immer weiter von ihr entfernte. Erst als sie die warmen Tränen auf ihren Wangen spürte, wurde ihr bewusst, dass sie weinte.
»Mist«, stieß sie hervor und wischte sie ab, dann schnappte sie erneut ihr Telefon, scrollte zu Fees Nummer und drückte die Anruftaste.
Lange Zeit läutete es. Gerade als April auflegen wollte, drang die Stimme ihrer besten Freundin durch die Leitung.
»Tut mir leid, Süße«, sagte Fiona, »aber ich war gerade mitten in einem Pokerspiel im Netz und hatte einen ziemlich hohen Einsatz am Start. Ich hatte zwei Paare, deshalb wollte ich es nicht sausen lassen.«
April lachte und spürte, wie es ihr augenblicklich besser ging. Die Welt konnte auseinanderfallen, aber Fee war mit den Gedanken bei etwas völlig anderem.
»Und bei wie viel stehst du?«
»Oh, bei rund anderthalb Millionen. Massenhaft Idioten aus Slowenien, die eine Straße nicht von einem Flush unterscheiden können. Leider ist es ja kein echtes Geld, aber sollte mir einer eine Kreditkarte geben, kaufe ich eine Insel in der Karibik, wo wir dann alle hinziehen können.«
»Bei meinem Glück ist sie garantiert von Zombies verseucht.«
»Oh, höre ich da einen leisen Frust bei meiner Lieblingsvampirjägerin?«
April musste lächeln.
»Könnte man so sagen. Manchmal ist alles eben ein bisschen … zu viel.«
Fee schnalzte mit der Zunge.
»Tja, das ist doch völlig normal, dass du so denkst. Es ist tatsächlich alles zu viel für dich. Im Grunde lastet das Schicksal der ganzen Welt auf deinen Schultern. Wenn du das nicht schaffst, gehen wir alle den Bach runter.«
»Danke für die ermunternden Worte«, bemerkte April sarkastisch.
»Tut mir leid, aber wenn ich als deine beste Freundin nicht Klartext mit dir reden kann, wer dann? Die Lage ist ernst, Süße, das brauche ich dir ja wohl nicht zu sagen. Ständig versucht jemand, dir ans Leder zu gehen, und im Gegensatz zu meinen Spielen geht es hier um echte Werte. Trotzdem darfst du nicht zulassen, dass es dir den Boden unter den Füßen wegzieht. Lass uns ganz logisch vorgehen und mit dem Punkt anfangen, der dir am wichtigsten ist.«
April dachte einen Moment nach.
»Gabriel«, sagte sie und spürte, wie sie errötete. »Ich … ich mache mir Sorgen um ihn, Fee.«
»Sorgen? Weswegen? Ich dachte, zwischen euch wäre inzwischen alles in Butter.«
»Ist es auch. Zumindest glaube ich es. Aber er benimmt sich so komisch. Er kann sich nicht mehr daran erinnern, was in Sheldons Haus vorgefallen ist. Ich kann nicht genau sagen, was mich daran so stört, aber irgendetwas stimmt da nicht.«
Fiona schwieg.
»Na ja, auch für ihn war der Brand traumatisch«, sagte sie dann. »Er
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