Der schlaue Pate
Blut, mein Freund. Geschäft ist Geschäft.« Er beugte sich vor, flüsterte. »Aber wie hast du das geschafft?«
»Kein Flüstern, bitte«, sagte ein Wärter, ohne die Stimme zu erheben.
»Geschäftsgeheimnis, Igor.«
Igor lehnte sich zurück. »Sicher. Und was willst du nun von mir?«
»Na ja, Igor, wie geht’s dir denn hier drin?«
Igor zuckte die Achseln. »Wie immer, wenn ich drinnen bin. Ich bin der Boss.«
Prinz nickte. Er wusste, die Russen hatten in den Knästen längst die Herrschaft übernommen, obwohl die Türken in der Überzahl waren. Schließlich kannte er Igor aus dem Gefängnis, wo Prinz sich bei der ersten Auseinandersetzung Respekt verschafft hatte, indem er Igor, der Autorität, einen großen Zeh brach, um sich danach oberflächlich mit ihm anzufreunden. Die Russen diktierten die Regeln in einer Welt, die den Wärtern völlig unzugänglich war. Ob eine Autorität die Geschäfte von draußen oder von drinnen leitete, war unerheblich.
»Und wie steht’s mit einem Prozess?«
Wieder das Achselzucken. »Könnte noch fast ein Jahr dauern, meint der Anwalt.«
»Wie viele von deinen Leuten sind schon wieder draußen?«
»Neunzehn, glaube ich. Aber keine Angst, wir haben Order von ganz oben, dich in Zukunft in Ruhe zu lassen.«
»Vom schlauen Paten.«
»Dem Generalissimus. Noch mal, Prinz. Was willst du von mir?«
»Ihm eine Botschaft zukommen lassen.« Er wartete. »Das geht doch, oder?«
»Könnte schon sein. Was für eine Botschaft?«
»Baginski konnte nichts dafür. Ich habe selbst gesehen, wie seine Stellvertreterin seine Unterschrift abgepaust hat. Er war tatsächlich krank und wusste von nichts.«
Igor musterte ihn mit ausdruckslosem Gesicht. »Redest du von diesem Oberstaatsanwalt, der irgend’ne Tusse abgemurkst hat? Den sie am Neujahrstag hier drinnen fertiggemacht haben?«
»Genau dem.«
Igor schüttelte den Kopf. »Damit, mein Freund, hatten wir wirklich nichts zu tun.«
Prinz lächelte. Natürlich konnte Igor das nicht wissen. »Gib’s einfach weiter.«
Desirées Arbeitszimmer lag im Erdgeschoss des Herrenhauses von Gut Holdorf, neben dem Salon, dem Esszimmer, der Küche und dem Arbeitszimmer von Ingrid, der Gutsverwalterin. Sie starrte so konzentriert auf den Monitor, dass sie Prinz’ Eintreten zunächst nicht bemerkte. Ihr Kopf war fast völlig von Papierbergen verdeckt, die sich auf ihrem Schreibtisch türmten. Prinz staunte immer wieder darüber, dass ein Mensch ihrer Generation sich überhaupt noch mit Papier abgab. Obwohl das für eine angehende Historikerin vermutlich ganz gut war.
»Es gibt überhaupt nichts über ihn«, sagte sie, ohne dass ihre Augen hinter Monitor und Papierbergen zum Vorschein kamen.
»Was?« Hatte sie ihn doch bemerkt? Er durfte seine Tochter nie unterschätzen.
»Beat Rominger. Deshalb bist du doch da, oder?«
»Äh, ja, schon.« Er trat um den Schreibtisch herum. »Und es gibt nichts über ihn?«
Endlich lehnte Desirée sich zurück und sah ihn an. »Na ja, alle Juristen scheinen sich extrem bedeckt zu halten, was ihre Veröffentlichungen im Netz angeht. Staatsanwaltschaften und Gerichte nennen nicht mal Namen, von Durchwahlen ganz zu schweigen. Die Kanzleien bringen auf ihren Websites oft Namen und Spezialgebiete, manche sogar Fotos, aber sonst nicht viel. Niemand brüstet sich mit gewonnenen Fällen oder bekannten Mandanten. Aber dieser Rominger hat nicht mal eine Website. Er steht weder im Telefonbuch noch in Anwaltsverzeichnissen. Aber er ist in Zürich als Anwalt zugelassen, ich habe da bei der Kammer angerufen.«
»Und Presse?«
» Nada. Der Kerl wird einfach nirgends erwähnt. Wir haben Baginski nicht gefragt, wie alt er ist. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand unter siebzig überhaupt keine Spuren im Netz hinterlässt. Vielleicht ist der schlaue Pate sein einziger Mandant, aber über den war jede Menge zu finden.« Desirée schüttelte den Kopf. »Weißt du, was passiert, wenn ich ›Beat Rominger‹ ohne Anführungszeichen eingebe? Tausende von Hits, und überall steht: ›Lance Armstrong beat Toni Rominger.‹«
Prinz konnte nicht anders, er musste lachen.
Am Abend, bevor die Uhr auf Sommerzeit umgestellt wurde, öffnete der Club Dornröschen frisch renoviert seine Pforten. Man hatte gar nicht viel verändert, denn so, wie es war, war es gut gewesen. Die Gänge waren recht gelungen mittelalterlichen Gewölben nachempfunden. Die Umkleidekabinen waren modern, blitzsauber, viel Marmor und Chrom. Es gab Pool, Sauna,
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