Der Schlittenmacher
Donald das Thema an. Er wiederholte ausführlich, was Reverend Witt gesagt hatte. Tilda hörte mit ernster Miene zu und nickte nachdenklich. Als mein Onkel fertig war, sah er meine Tante an und gab ihr damit zu verstehen, dass nun sie an der Reihe sei, doch sie gab das Wort an Tilda weiter.
»Also, zuerst einmal zu dem, was in Great Village war«, begann Tilda, »und was Reverend Witt gesehen hat. Ich würde sagen, ich war an dem Tag in Hochform. Und was diesen Dr. Sewell angeht – ich bin richtig sauer auf euch, dass ihr anscheinend meint, ich wäre ein bisschen wirr im Kopf. So sauer, dass ich sofort meine Sachen packen werde, mich in den Bus setze und eure sauer verdienten Dollars zum Fenster hinauswerfe, um mich hypnotisieren zu lassen. Ich bin sogar neugierig darauf. Wahrscheinlich bin ich die Erste in Middle Economy, die sich hypnotisieren lässt. Außerdem war ich zwei Jahre nicht mehr in Halifax. Ihr wisst ja, wie sehr es mir dort gefällt. Die Busfahrt hin und zurück, der Zwischenstopp in Truro, um ein Sandwich zu essen. Die vielen Dinge, die es unterwegs zu sehen gibt, da bin ich euch wirklich dankbar.«
»Ich hoffe, du nimmst es uns nicht allzu übel«, sagte meine Tante. »Wir haben es wirklich nur gut gemeint mit dir.«
»Ich mein’s auch gut mit mir«, erwiderte Tilda. »Und ich habe das Gefühl, dass das eine große Chance für mich ist. Und sieh’s mal von der praktischen Seite. Ich könnte von überall Trauer-Aufträge bekommen, sagen wir in Kentville oder bis hinauf
nach Prince Edward Island. So könnte ich etwas für Kost und Logis beisteuern, bis ich etwas Eigenes habe.«
»Da hat sie nicht unrecht«, meinte mein Onkel.
»Wisst ihr«, sagte Tilda, »mir ist jetzt der Appetit vergangen, aber bevor ich auf mein Zimmer gehe, möchte ich euch noch etwas sagen. Mutter, Vater – und dir auch, Wyatt. Das Trauern liegt mir einfach, das ist eine Begabung. Und ich kann’s kaum erwarten, dass ich meinen ersten Auftrag bekomme. Wenn ich in Halifax bin, werde ich im Baptist Spa wohnen, das liegt nur einen Block von dem Amt entfernt, wo ich meine Anmeldung einreichen muss. Ich gehe davon aus – und das solltet ihr auch –, dass es keine Probleme geben wird und dass ich sofort anfangen kann.«
Meine Tante hatte mich gebeten, Tilda vom Bus abzuholen, als sie zurückkam. Und so wartete ich am Abend des 27. August vor der Esso-Tankstelle in Great Village. Das war die Bushaltestelle, die Middle Economy am nächsten lag. Ich saß vielleicht zehn Minuten in meinem Wagen, da sah ich den Bus im Rückspiegel kommen. Der blau-weiße Bus von Acadian Line hatte ein schräges Heck und eine senkrecht abfallende Front, außerdem zwei breite Windschutzscheiben mit Scheibenwischern und eine breite silberne Stoßstange vorne. Ich ging zu dem Bus hinüber und löschte meine Chesterfield in meinem Kaffeebecher, in dem sowieso fast nur noch der Kaffeesatz war. Ich hatte erwartet, Tilda würde allein aus dem Bus aussteigen. Aber direkt hinter ihr kam Hans Mohring heraus (natürlich wusste ich noch nicht, dass er so hieß). Sie plauderten lebhaft, und Tilda trug nicht ihre holländische Schultasche – nein, das machte Hans Mohring für sie. Da ist irgendwas , dachte ich mir.
Ich musterte Hans Mohring aufmerksam. Nach meiner Einschätzung war er vielleicht zwei Jahre älter als ich und Tilda.
Ich verglich weiter und stellte fest, dass er mich überragte (ich bin barfuß eins fünfundsiebzig). Er trug eine braune Cordhose mit einem Gürtel, der nicht in den Schlaufen steckte, sondern den er einfach um die Taille geschnallt hatte. Das hatte ich erst einmal zuvor gesehen, bei einem betrunkenen Typ in der Barrington Street in Halifax, aber Hans Mohring hatte seinen Gürtel eindeutig nicht so umgeschnallt, weil er betrunken oder zerstreut war. Und er trug ein weißes Hemd, das am Hals zugeknöpft war – sehr förmlich für eine Busfahrt –, dazu einen schwarzen Regenmantel, obwohl es ein klarer Abend war und überhaupt nicht nach Regen aussah.
Als Tilda mit Hans Mohring auf mich zukam, sah ich, dass er ein ziemlich schmales Gesicht hatte, mit einigen Fältchen um die Augen, und dass er attraktiv war. Er hatte dichtes braunes Haar, das hinten bis zum Kragen reichte und recht gepflegt wirkte, aber nicht wirklich gescheitelt war, sondern leicht vom Wind zerzaust. Und er hatte ein offenes, sehr sympathisches Lächeln (das ärgerte mich, weil ich ziemlich schiefe Vorderzähne hatte und es mir schon mit ungefähr fünf Jahren
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