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Der Schlittenmacher

Der Schlittenmacher

Titel: Der Schlittenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Norman
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Schiffsmeldungen studiert, ich war in der Bibliothek und habe die Zeitungen durchgesehen. Außerdem habe ich fünf Anrufe mit Mrs. Tells Telefon gemacht, die ich ihr bezahlt habe. Ich habe beim Fährhafen in Halifax und bei der Zeitung angerufen und alle möglichen Fragen gestellt, Wyatt. Ich habe auch die Fahrpläne der Fähren studiert, und ich mache mir große Sorgen.«
    Und das war so ziemlich alles, was wir den ganzen Abend redeten. Schluck um Schluck leerten wir beide Flaschen Wodka, während Hans alle Grammofonplatten, die sie hatten, zweimal abspielte. Wahrscheinlich konnte Cornelia unter uns nicht schlafen – und wenn, dann eher unruhig –, doch sie kam nicht herauf, um sich zu beklagen. Als es draußen hell wurde, schob sie eine Nachricht unter der Tür durch: Ich habe gehört, was passiert ist. Kann ich mit euch frühstücken ? Tilda, Hans und ich
waren benommen und erledigt von dem Wodka und von unserer Angst vor dem Schlimmsten. Wann würden wir Gewissheit bekommen? »Ich warte noch ein bisschen damit, dass ich Donald seine Grammofonplatten gebe, meint ihr nicht auch?«, sagte Hans trotz seines Zustands recht deutlich.
    »Hans, ich habe einen Philologiestudenten geheiratet«, erwiderte Tilda. »Ich habe nicht ein Mitglied der Besatzung dieses U-Boots geheiratet, das die Caribou versenkt hat. Ich werde das allen klarmachen.«
    »Hans hat recht«, meinte ich. »Er sollte mit den Grammofonplatten noch warten.«
    Hans ging ins Schlafzimmer und kam mit einer gerahmten Fotografie seiner Eltern zurück. Sie standen vor einem Restaurant. »Das Bild wurde in Kopenhagen gemacht«, erklärte er und reichte es mir. »Ich wünschte, ich könnte mit ihnen sprechen. Aber das ist unmöglich. Völlig unmöglich.«
    »Ich glaube, der Doktor würde uns jetzt Kaffee verordnen, stimmt’s?«, meinte Tilda und stand von ihrem Platz auf. Doch sie setzte sich sofort wieder hin. »Bin immer noch ein bisschen duselig. Vielleicht überlasse ich das mit dem Kaffee Cornelia.«
    »Die Bäckerei ist sicher schon offen. Ich geh runter und rede mit ihr«, sagte ich. Ich ging auf die Toilette und hörte von dort, wie Hans sagte: »Tilda, ich möchte meinem Nachruf noch etwas hinzufügen.«
    »Jetzt gleich, Hans?«, fragte Tilda. »Ich weiß nicht, ob ich im Moment überhaupt richtig schreiben kann. Ich bin ziemlich benebelt.«
    »Ja, ich fürchte, es muss sein, Tilda – bitte. Es kommt ja nicht auf die Rechtschreibung an. Bitte schreib dazu: ›Ganz besonders liebte er die Impromptus von Schubert.‹«
    Tilda holte den Nachruf aus der Schreibtischschublade, dann
setzte sie sich an den Tisch und begann zu schreiben. Ich ging in die Bäckerei hinunter. Cornelia stand hinter der Theke; aus dem Radio kam gerade die Wettervorhersage.
    »Oh, Wyatt, da bist du ja«, sagte sie. »Ich habe gehört, dass ihr Nachtwache gehalten habt, ihr drei. Junge Leute, die beisammensitzen, um eine schlechte Nachricht zu verarbeiten, also das nenne ich eine gute Idee. Eins macht mir Sorgen: Wenn mich meine eigenen Gedanken hier in der Bäckerei schon so quälen, dann will ich mir gar nicht vorstellen, wie es in Donald aussieht.«
    »Cornelia«, antwortete ich. »Du bist die beste Freundin meiner Tante. Du bist doch sicher selber verrückt vor Sorge.«
    Sie stellte eine Kanne Kaffee und eine Tasse auf einen Tisch, und ich setzte mich hin. Als Tilda hereinkam, sagte sie: »Ich hab total vergessen, dass ich heute mein Begräbnis in Lorneville habe. Ich hab’s einfach vergessen.«
    »Tilda«, wandte Cornelia ein, »ich weiß nicht, ob du jetzt auf ein Begräbnis gehen solltest. Aber du sagst dir wahrscheinlich: Arbeit ist Arbeit.«
    »Was immer die Wahrheit über Mutter ist – für mich wird es erst in drei oder vier Stunden die Wahrheit sein, oder wann ich eben zurück bin. Außerdem habe ich es den Drakes versprochen, dass ich komme. Mom sagt immer, als Ehrenmann oder Ehrenfrau hält man seine Versprechen, egal was rundherum auf der Welt passiert.«
    »Dann möchtest du wahrscheinlich, dass ich dich nach Lorneville fahre«, sagte ich.
    »Es ist eine Mrs. Winslow Ledoyt Drake, die verstorben ist«, erklärte Tilda. »Sie war vierundachtzig und hat alle überlebt, die vielleicht zum Begräbnis gekommen wären. Ihre zwei Töchter in England wurden informiert, aber jetzt im Krieg sitzen sie
dort fest, also werden nur ich und Reverend Greene da sein. Hans bleibt hier. Ich habe gemeint, dass er nicht allein sein sollte. Wir haben nicht gestritten, aber er hat auch

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