Der Schlittenmacher
schwimmen.«
Dann sah er mich und stellte das Radio augenblicklich leiser. Er sah aus, als hätte er sich mindestens eine Woche nicht mehr rasiert. Er trug dieselben Kleider wie am Tag zuvor in Steven Parishs Werkstatt. Auf dem Tisch stand eine Flasche Whiskey. »Wir haben hier beim Radio unser Lager aufgeschlagen«, sagte er. »Wo sind deine Manieren, Wyatt? Willst du unseren Gästen nicht die Hand schütteln?«
Simon Perkins, der ein Hummerboot namens Sprightly besaß, stand auf, und wir schüttelten uns die Hände. Ich begrüßte auch Warren Heddon, den Inhaber und Koch des Glooskap Restaurants in Parrsboro, über den mir mein Onkel einmal erzählt hatte: »Ich und Warren, wir frühstücken seit über dreißig Jahren sonntags zusammen, und nicht ein Mal sind wir zu spät gekommen, um unsere Frauen und Kinder von der Kirche abzuholen und den Rest des Sonntags mit ihnen zu verbringen. « Dann schüttelte ich Miller Shiers die Hand, einem Maler und Anstreicher, der es geschafft hatte, Reverend Witts Kirche in nur drei Tagen zu streichen; dabei arbeitete er zwei Nächte durch, ohne zu schlafen, indem er Laternen an die Leiter hängte. Es gab keinen besonderen Grund, sich so zu beeilen, außer dass er es sich einfach in den Kopf gesetzt hatte. Schließlich begrüßte ich Gus Breel, der als Polizist für elf Ortschaften in der Gegend zuständig war. Er war in Upper Economy zur Welt gekommen und hatte in seinen sechsundfünfzig Lebensjahren
nur in Upper Economy, Middle Economy und Lower Economy gelebt – und in jedem der Orte hatte er eine Ehe und eine Scheidung hinter sich. »Eigentlich sollten sie einen Ort nach Gus Breel benennen«, hatte Cornelia einmal gemeint. »Dann gäbe es Upper Economy, Middle Economy, Lower Economy – und Gus zu Ehren auch noch den Ort Just Plain Broke .«
Ich blickte in die Runde, die sich um unseren Küchentisch versammelt hatte. »Ich glaube, seit Tildas achtzehntem Geburtstag sind nicht mehr so viele Leute im Haus gewesen«, sagte ich.
»Genug nette Konversation«, meinte Donald. »So wie die Dinge liegen, beschäftigt uns weniger, wer alles hier ist, sondern wer nicht hier ist.«
Einige Augenblicke war es still im Raum. Dann stand Warren auf. »Also, Donald«, sagte er, »wir wollten einfach mal vorbeischauen. « Die anderen nickten zustimmend. Warren, Miller, Simon und Gus gingen einer nach dem anderen hinaus. Ich hörte ihre Autos starten.
»In unserer letzten Nacht zusammen hat Constance bei mir in der Werkstatt geschlafen«, sagte mein Onkel. »Also, wenn das nichts ist, dann weiß ich auch nicht.«
Genau in diesem Moment klingelte das Telefon. Mein Onkel stand auf und hob beim dritten Läuten ab. Er sagte nicht Hallo. Ich konnte die Stimme am anderen Ende fragen hören: »Ist das der Wohnsitz einer Mrs. Constance Bates-Hillyer?« Mein Onkel ging zur Arbeitsplatte, bis das Kabel gespannt war, das Gesicht dem Küchenschrank zugewandt. Ich setzte mich an den Tisch.
»Ja, hier spricht ihr Mann, Donald Hillyer«, sagte er in den Hörer.
Marlais, ich kann dir sagen, in meinem Kopf hat sich alles
gedreht. Ich wollte nichts hören, gar nichts, und dann hörte ich: »… also, Secretary Macdonald, nur weil der Schrankkoffer von meiner Constance geborgen wurde, heißt das doch noch nicht …« Mein Onkel hörte einige Augenblicke zu, dann stöhnte er tief und wankte rücklings gegen den Küchentisch, bis er schließlich zu Boden sank. Er blickte zu mir auf. »Neffe, es ist der Marineminister Macdonald persönlich. Er hat mir mitgeteilt, dass Constance offiziell zu den Vermissten zählt.«
Mein Onkel horchte auf, als er eine andere Stimme in der Leitung hörte, und er drückte den Hörer fest ans Ohr. »… nicht der geringste Zweifel«, sagte er. »Verstehe.« Er stand auf, lehnte sich an den Tisch, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und gab mir den Telefonhörer. Ich legte auf.
Mein Onkel setzte sich an den Tisch. »Wir sind nie zusammen in ein Walk-in-Cinema gegangen«, sagte er. »Und das letzte Mal, dass wir nach Halifax fuhren … wann war das? 1939, glaube ich. März 1939, zwei Nächte im Hotel Dumont, inklusive Frühstück, und man konnte in der Lobby sitzen, so lange man wollte. Als ich ein Nickerchen machte, hat Constance heimlich eine Tanzstunde beim hauseigenen Lehrer genommen – Foxtrott , in ihrem Alter! Ich weiß, das klingt eigentlich gar nicht nach deiner Tante Constance, aber sie hat gewusst, dass ich zum Tanzunterricht nicht mitgegangen wäre. Außerdem
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