Der Schlitzer
Es bereitete mir deshalb Sorgen, weil ich es nicht erkennen konnte, aber es mußte schon eine Bedeutung haben. Ein Schatten?
Es konnte sein. Jedenfalls eine Figur, die bestimmt keine festen Umrisse hatte. Ich sah sie sehr nah, aber auch fern, und weit im Hintergrund entstand ein Licht.
Mir kam es unnatürlich vor, weil es einfach zu hell und strahlend war, sich aber in eine Form hatte pressen lassen, damit man sie erkennen konnte.
Ein helles Dreieck!
Ziemlich lang gezogen, dabei nach oben hin spitz zulaufend. Als wäre ein Schwert verkürzt worden. Nein, kein Schwert, eine andere Waffe, ein Messer! Ich wußte Bescheid. Über mir schwebte der Schlitzer!
***
Obwohl ich den Herzschlag so gut wie kaum spürte, hatte ich den Eindruck, mein Herz würde aufhören zu schlagen, um mich in meinem Schreck erstarren zu lassen.
Zwar schwebte ich auch weiterhin in dieser ungewöhnlichen und eigentlich unfaßbaren Welt, aber es war doch einiges anders geworden, seit ich diese Gestalt zu Gesicht bekommen hatte.
Sie war böse!
Sie war das zweite Ich des James Freeman, und sie schwebte wie ein kompaktes Stück Hölle über mir, den Kopf leicht gesenkt, wie ich erkennen konnte, und die helle Waffe in der Hand so gedreht, daß die Spitze direkt auf meinen Körper wies.
Wenn sie nach unten raste, hatte ich nicht die Spur einer Chance. Als mir dies klar wurde, bekam ich es mit der Angst zu tun, und war gleichzeitig froh darüber, daß ich diese Angst noch empfinden konnte, denn das gehörte zum Menschsein. Ich hatte es also nicht völlig aufgegeben, ich war noch wer, ich war John Sinclair, ein Mann, dem Gefühle nicht fremd waren. Nur das Gefühl für Zeit war mir tatsächlich verlorengegangen. Ich hätte nicht mehr sagen können, ob ich Minuten, Stunden oder sogar einen Tag lang in dieser Flüssigkeit schwamm, alles war so anders geworden, und als der Körper des Wissenschaftlers wieder gegen meine linke Seite stieß, da kam es mir vor, als hätte mich ein Brett gestreift, so hart und auch irgendwie abweisend war er geworden.
Ich hätte gern einen Kommentar des Mannes gehört, den Gefallen tat er mir nicht, er blieb stumm, und ich schaffte es auch nicht, ihm eine Frage zu stellen.
Der Schlitzer hatte seine Lage nicht verändert. Weiterhin lag er über mir, aber er bewegte den rechten Arm, so daß ich die helle Waffe deutlicher sah, und ich merkte gleichzeitig, wie er versuchte, Kontakt mit mir aufzunehmen. In meinem Gehirn hörte ich seine Worte, die flüsternd gesprochen waren.
»Energie. Ich werde dich mit meiner Energie töten. In der Hand halte ich sie konzentriert, sie ist die Energie des Bösen, des Negativen, und sie wird sich in deinen Körper hineinsenken, um dich zu vernichten. Du wirst nicht mehr am Leben bleiben, du wirst vergehen, verglühen, du wirst absacken in die Tiefen der absoluten Finsternis, denn du stehst nicht auf meiner Seite. Du hast versucht, mich zu töten, du hast es nicht geschafft, und jetzt bin ich an der Reihe.«
Es gab nichts, was ihn davon abhalten konnte. Dr. James Freeman hatte sein böses Ich aus dem Körper herausgedrückt, um mich umbringen zu können. Es würde auch keinen Sinn haben, ihn an ein Verbrechen zu erinnern. Das Böse war anders, es war das Verbrechen, es liebte den Tod, es würde nicht zurückstecken. Und es sank tiefer.
Lautlos wehte dieser Schatten heran. Ich hörte das Plätschern des Wassers, als ich mich etwas zu heftig bewegte und wieder gegen Freemans starren Körper stieß, der anschließend seine Reaktion in den Schlitzer hineintransportierte, damit mir dieser eine Antwort in seinem Sinne geben konnte.
»Sei ruhig. Nimm den Tod gelassen hin. Es hat keinen Sinn für dich. Du kannst daran nichts ändern…«
Der Seelentrip hatte sich nach diesen Worten in einen Horrortrip verwandelt, die letzten Sekunden waren für mich zu einer Achterbahn des Grauens geworden. Mir kam es zudem vor, als hätte man mich wieder aus den Tiefen so weit herausgezogen, damit ich die Realität wieder sehr deutlich mitbekam. Freeman und ich befanden uns jetzt an verschiedenen Zielen dieser Horrorreise.
Der Schatten kippte weiter.
Er hatte jetzt seinen Arm mit dem glänzenden Dreieck nach vorn gekippt, schwang ihn hin und her, und das tödliche Messer wurde für mich zu einem höllischen Pendel, das mich jeden Augenblick aufschlitzen und meinen Tod verursachen konnte.
Ich kam nicht mehr mit mir zurecht. Meine Gedanken waren nicht mehr zu ordnen, deshalb formierte sich auch kein
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