Der Schlüssel zu Rebecca
wird halb Kairo wissen, daß die Briten Sonja ins Gefängnis gesteckt haben. Wenn ich morgen abend nicht im Cha-Cha auftrete, gibt es einen Aufstand. Mein Volk wird die Stadt niederbrennen. Sie werden Truppen aus der Wüste zurückziehen müssen, um die Kontrolle zu behalten. Und wenn ich hier mit einer einzigen Quetschung oder einem Kratzer herauskomme, werde ich sie der Welt morgen abend auf der Bühne zeigen, und das Ergebnis wird das gleiche sein. Nein, Mister, nicht ich bin auf gefährlichem Gebiet.«
Vandam betrachtete sie während der Tirade, ohne eine Miene zu verziehen, und sprach weiter, als habe sie nichts Wichtiges gesagt. Er mußte ihre Worte ignorieren, weil sie recht hatte.
»Fangen wir noch einmal von vorn an«, schlug er mit ruhiger Stimme vor. »Sie behaupten, Wolff im Cha-Cha-Club kennengelernt ...«
»Nein«, unterbrach sie. »Wir fangen nicht noch einmal von vorn an. Ich werde kooperieren und Ihre Fragen beantworten, aber ich lasse mich nicht verhören.« Sie stand auf, drehte ihren Stuhl um und setzte sich mit demRücken zu Vandam. Er starrte ihren Hinterkopf ein paar Sekunden lang an. Sie hatte ihn sehr geschickt ausmanövriert. Er ärgerte sich, doch gleichzeitig bewunderte er sie im stillen. Er stand auf und verließ das Zimmer. Jakes folgte ihm.
Auf dem Flur fragte Jakes: »Was meinen Sie?«
»Wir müssen sie gehen lassen.«
Jakes entfernte sich, um die entsprechenden Anweisungen zu geben. Während er wartete, dachte Vandam über Sonja nach. Woher hatte sie die Kraft gehabt, sich ihm zu widersetzen? Ob ihre Geschichte stimmte oder nicht, sie hätte erschrocken, eingeschüchtert und letztes Endes gefügig sein müssen.
Er überdachte das Gespräch noch einmal. Die Frage nach ihrem Alter hatte sie rebellieren lassen. Ihr Talent hatte ihr offenbar ermöglicht, länger aufzutreten als eine durchschnittliche Tänzerin; vielleicht fürchtete sie sich deshalb vor den verstreichenden Jahren. Hier bot sich kein Anhaltspunkt. Ihre Miene war ruhig und ausdruckslos gewesen, abgesehen davon, daß sie über seine Verletzung gelächelt hatte. Am Ende hatte sie sich einen Gefühlsausbruch gestattet. Aber sogar dann hatte sie ihren Zorn gesteuert, war nicht von ihm beherrscht worden. Er erinnerte sich an ihr Gesicht, während sie tobte. Was hatte er dort gesehen? Nicht nur Zorn, schließlich begriff er: Es war Haß gewesen.
Sie haßte ihn. Dabei war er für sie nur ein unbekannter britischer Offizier. Also mußte sie die Briten hassen. Und ihr Haß hatte ihr Kraft verliehen.
Plötzlich war Vandam müde. Er setzte sich schwer auf eine Bank im Flur. Woher sollte er Kraft bekommen? Kühl überlegte er, was auf dem Spiel stand. Er stellte sich die Deutschen vor, wie sie nach Kairo einmarschierten, die Gestapo auf den Straßen, die ägyptischen Juden, die in Konzentrationslager getrieben wurden, die faschistische Propaganda im Rundfunk ...
Die Betäubung seines Gesichts ließ nach. Er spürte eine scharfe Linie des Schmerzes wie eine Verbrennung auf der Wange. Außerdem hatte er Kopfschmerzen. Er hoffte, daß Jakes nicht so bald zurückkehren werde, damit er noch ein bißchen länger auf der Bank sitzen konnte.
Vandam dachte an Billy. Er wollte nicht, daß der Junge ihn beim Frühstück vermißte. Vielleicht bleibe ich bis zum Morgen wach, bringe ihn zur Schule, fahre nach Hause und schlafe mich aus, überlegte er. Wie würde Billys Leben unter den Nazis aussehen? Sie würden ihm beibringen, die Araber zu verachten. Seine jetzigen Lehrer waren keine großen Bewunderer der afrikanischen Kultur, aber wenigstens konnte Vandam seinem Sohn zu der Erkenntnis verhelfen, daß Menschen, die anders waren, nicht notwendig dumm sein mußten. Ihm fiel Elene ein. Sie ließ sich aushalten, aber wenigstens konnte sie ihre Liebhaber wählen, und wenn ihr nicht gefiel, was sie im Bett anstellen wollten, konnte sie sie hinauswerfen. In dem Bordell eines Konzentrationslagers würde sie diese Wahl nicht haben ... Es schauderte ihn.
Ja, wir sind nicht gerade großartig, schon gar nicht in unseren Kolonien, aber die Nazis sind noch schlimmer, ob die Ägypter es wissen oder nicht. Dafür lohnt es sich zu kämpfen. In England macht die Menschlichkeit allmählich Fortschritte, in Deutschland wird sie zurückgedrängt.
Er stand auf.
Jakes kam zurück.
»Sie ist anglophob«, sagte Vandam.
»Bitte, Sir?«
»Sonja. Sie haßt die Briten. Ich glaube nicht, daß Wolff eine Zufallsbekanntschaft ist. Los.«
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