Der Schnee war schmutzig
unterwürfig zeigte.
Er hat auch ihm die Geschichte von dem erdrosselten Mädchen erzählt, aber nur wie nebenbei.
»Sieh mal, Frank, das Messer hat mir mein Freund eben geschenkt.«
Als Kromer das Messer aus seinem warmen Pelz herauszog und es auf die karierte Tischdecke legte, wirkte es noch verlockender, wie ein Schmuckstück, das an Glanz gewinnt, wenn man es aus dem Schmuckkasten herausnimmt.
»Berühre mal die Schneide.«
»Nicht übel.«
»Kannst du die Fabrikmarke lesen?«
Das Messer kam aus Schweden. Es war ein Stellmesser und so schön geformt, daß man meinen konnte, die Klinge habe ihren eigenen Verstand und könne sich selber ihren Weg suchen.
Warum hatte Frank in einem kindlichen Ton, den er annahm, ohne es zu wollen, gesagt: »Leih es mir.«
»Wozu?«
»Nur so.«
»Solche Spielzeuge sind nicht für nichts da.«
Berg lächelte ein wenig gönnerhaft, als hörte er den Prahlereien zweier Jungen zu.
»Leih es mir.«
Gewiß nicht, um es nicht zu benutzen. Dennoch wußte Frank noch nicht, wozu. Aber in diesem Augenblick sah er an dem Tisch in der Ecke, unter der Lampe mit dem lila Schirm, den dicken, schon puterroten Unteroffizier sein Koppel abnehmen und es auf den Tisch legen.
Sie kannten alle diesen Unteroffizier. Er war beinahe ein Maskottchen, eine Art Haustier, das man gewohnt ist, an seinem Platz zu sehen. Er war der einzige von den fremden Soldaten, der regelmäßig und ohne jede Vorsichtsmaßnahme zu Timo kam.
Man nannte ihn hier den Eunuchen, weil er so dick war und am Bauch und unter den Armen richtige Fettpolster hatte. Man mußte bei seinem Anblick an ein fettes Weib denken, das sich auszieht und bei dem sich das Korsett in das wabbelige Fleisch eingedrückt hat. Auch im Nacken und unter dem Kinn hatte er Fettwülste und auf dem Kopf ein paar farblose, weiche Haare.
Er setzte sich immer in die gleiche Ecke, immer mit zwei Frauen, die immer brünett und mager waren. Man behauptete, daß er behaarte besonders schätze.
Wenn die Gäste, die hereinkamen, beim Anblick seiner Uniform – der Uniform der Besatzungspolizei – zusammenzuckten, sagte Timo, ohne kaum die Stimme zu senken: »Keine Angst. Er ist ungefährlich.«
Hörte es der Eunuch? Verstand er es? Er bestellte Schnaps in Karaffen. Eine der beiden Frauen saß auf seinem Schoß, die andere neben ihm auf der Bank, und er erzählte ihnen mit leiser Stimme Geschichten, flüsterte ihnen ins Ohr und lachte. Er trank, erzählte, lachte, und sie mußten trinken, während er ihnen mit den Händen unter die Röcke griff.
Irgendwo in seiner Heimat hatte er gewiß Angehörige. Noushi, die mit seiner Brieftasche gespielt hatte, behauptete, sie sei mit Bildern von Kindern jeden Alters vollgestopft. Er nannte die Mädchen mit anderen Namen als ihren eigenen; das machte ihm Spaß. Er lud sie zum Essen ein. Es bereitete ihm Genuß, sie teure Gerichte verspeisen zu sehen, wie man sie nur bei Timo und in einigen anderen Lokalen bekam, in die man noch schwerer Einlaß fand, weil sie Offizieren vorbehalten waren.
Er zwang die Mädchen fast zum Essen, aß mit ihnen und knutschte sie vor allen Leuten. Er betrachtete seine schmutzigen Fingernägel und lachte. Dann kam jedesmal der Augenblick, da er sein Koppel abschnallte und es auf den Tisch legte.
An diesem Koppel hing eine Tasche mit einem Revolver.
Im Grunde war das alles belanglos. Der Unteroffizier, der Eunuch, war ein dicker lasterhafter Kerl, den jeder nur komisch fand, selbst Lotte, Franks Mutter.
Auch sie kannte ihn. Das ganze Viertel kannte ihn, denn um in die Stadt zu gelangen, wo sich seine Dienststelle befand, überquerte er zweimal am Tag die Straße, durch die die Straßenbahn fährt, und ging bis zur alten Brücke. Er lebte nicht in der Kaserne. Er wohnte bei Frau Mohr, einer Architektenwitwe. Man betrachtete ihn wie einen Nachbarn. Immer zur gleichen Zeit sah man ihn rosig und wie aus dem Ei gepellt vorübergehen. Er hatte ein besonderes Lächeln, das manchen verschlagen erschien, aber das vielleicht nur ein Babylächeln war.
Er drehte sich nach kleinen Mädchen um, schäkerte mit ihnen und gab ihnen manchmal Bonbons, die er aus seiner Tasche zog. »Ich wette, eines Tages kommt er zu uns herauf«, hatte Lotte, Franks Mutter, gesagt.
Ihre berufliche Tätigkeit war gesetzlich verboten. Gewiß, sie durfte in dem Viertel des alten Bassins einen Maniküresalon unterhalten, obwohl bestimmt niemand auf den Gedanken gekommen wäre, in einem mit Mietern vollgestopften Haus drei
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