Der Schneekönig
Sinnlichkeit. Der Schneekönig jedoch wirkte gelangweilt.
Unwillkürlich begann Amelie sich vorzustellen, wie sich seine Lippen wohl anfühlen mochten. Weich, obwohl ein harter Zug darum lag? Warm, obwohl seine gesamte Ausstrahlung so kühl war wie blankes Eis? Mit Sicherheit nicht.
Die Tänzerinnen begannen Amelie leid zu tun. Strengten sie sich auch noch so an, ihn zufriedenzustellen. Dies schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
Eingebildeter Schnösel!
Unwillig zog Amelie die Augenbrauen zusammen. Dieser überhebliche Kerl also war derjenige, dessen Herz sie erweichen musste, wollte sie sich und ihren Bruder vor einem gnadenlosen Schicksal bewahren. Sie schnaubte wütend.
„Ich möchte dieses liebreizende Intermezzo ja nur ungern unterbrechen“, begann sie ebenso hochnäsig, wie er dreinschaute, „aber ich benötige Eure Aufmerksamkeit,
Majestät
!“ In ihr letztes Wort legte sie so viel Sarkasmus, das selbst der über allem erhabene Schneekönig für einen kurzen Moment zusammenzuckte. Jedoch war er sehr schnell wieder Herr der Lage.
„Oh, sieh an, da kommt Nachschub. Meine Schwester scheint es heute besonders gut mit mir zu meinen. Los, zeig mir, dass du es besser kannst. Tanz!“
Amelie stemmte die Hände in die Hüften. „Ich bin nicht zu Eurer Belustigung hier. Wenn Euch langweilig ist, sucht Euch einen vernünftigen Zeitvertreib, statt andere Menschen so zu behandeln, als seien sie Eure Leibeigenen.“
Belustigung trat in seine tiefblauen Augen.
„Du bist nicht zu meinem Zeitvertreib hier? Interessant ... aber auch unklug, denn wer mir nicht gefällt, verschwindet ebenso ins ewige Eis wie derjenige, der sich mir widersetzt.“
„Plustert Euch ruhig auf ... wie ein lächerlicher Pfau – da oben auf Eurem Thron. Mir könnt Ihr damit keine Angst einjagen“, platzte es trotzig aus ihr heraus, obwohl sie innerlich vor Angst erstarrte. Ihr hitziges Temperament ging wieder einmal mit ihr durch.
Des Schneekönigs Augen verengten sich. Mit einem Kopfnicken entließ er die Tänzerinnen, erhob sich, kam auf Amelie zu und blieb dicht vor ihr stehen.
„Ein angenehmer Kontrast. Statt eines weiteren unterwürfigen, liebeshungrigen Weibchens hat mir meine Schwester diesmal eine kleine Kratzbürste gebracht. Ich staune.“ Bei diesen Worten streckte er eine Hand nach ihr aus, fasste ihr spielerisch ins Haar. Unwillkürlich trat Amelie einen Schritt zurück, schlug seine Hand beiseite. „Nehmt Eure Pfoten weg. Ich mag es nicht, von Euch berührt zu werden.“ Giftpfeile schossen aus ihren Augen geradewegs auf ihn zu.
Er begann schallend zu lachen. „Du hast gar keine andere Wahl. Es sei denn, du ziehst es vor, dass dein entzückender Körper schon innerhalb der nächsten Minuten zu Eis erstarrt.“ Er lächelte gespielt mitleidig. „Ich würde es allerdings bedauern, nicht zumindest einmal davon gekostet zu haben.“ In seinen Augen blitzte es überlegen auf. Und noch bevor sie ausweichen konnte, packte er sie am Oberarm und raunte ihr ins Ohr: „Ich an deiner Stelle würde mich bemühen etwas liebenswürdiger zu sein. Schließlich geht es nicht nur um dich, sondern auch um deinen Bruder.“
Amelie zuckte zusammen. Er hatte ihren wunden Punkt getroffen.
„Ist da so etwas wie Einsicht in deinem widerspenstigen Gesicht zu erkennen?“ Er tat erstaunt.
„Spottet nur. Das wird Euch irgendwann auch noch vergehen.“
„Du kleines dummes Ding tätest gut daran, so entgegenkommend zu sein wie die anderen Frauen.“
Sie drehte den Kopf weg.
„Sieh mich an!“
Amelie dachte im Traum nicht daran, ihm aufs Wort zu gehorchen.
„Ich sagte, du sollst mich ansehen.“ Grob fasste er nach ihrem Kinn.
„Und ich sagte, dass es mich anwidert, von Euch berührt zu werden.“ Blind vor Wut spuckte sie ihm vor die Füße.
Seine Augenbrauen zogen sich ärgerlich zusammen, sein Blick verdunkelte sich gefährlich. Mit hoch erhobenem Kopf hielt sie seinem Blick stand, auch wenn sie sich in diesem Augenblick alles andere als stark fühlte. Jedoch würde sie ihm nicht die Genugtuung geben, ihre Unsicherheit zu zeigen. Sie presste die Lippen aufeinander, als er erneut nach ihr griff. „Ich denke, es ist an der Zeit, dir zu zeigen, wer hier der Herr im Hause ist. Ich werde dich zähmen, dir geben, was du brauchst. Und erst dann damit aufhören, wenn du mich um Verzeihung gebeten hast und fortan tust, was ich von dir verlange.“
Er wollte sie näher an sich reißen, um seine Macht zu demonstrieren, doch da
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