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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Tingchai, ihr das Schild auszufolgen. Dann verließ ich die drei, um ein Bad zu nehmen und mich umzukleiden.
    Eine Stunde später fand ich zu meiner Überraschung das Trio vor der Tür meines Arbeitszimmers vereint: mit großem Interesse betrachteten sie etwas, was außen hing. Es war Ah-ting-fus Schild.
    «Um des Himmels willen, warum habt ihr es hier aufgemacht?» fragte ich.
    Kuniang erwiderte: «Ich dachte, es würde dir Glück bringen, so wie es Ah-ting-fu Glück gebracht hat. Es will etwas heißen, einen Laden in der Hata Mên zu kriegen.»
    «Du hättest es. über der Tür deines Pavillons anbringen sollen. Das war meine Absicht.»
    «Aber ich will, daß es dir Glück bringt.»
    «Du bist sehr lieb, Kuniang. Doch ich fürchte, daß es nicht ganz hierher paßt. Ich schneidere keine Hosen, und schon gar nicht himmlische.»
    «Was macht das, wenn dir das Schild nur Glück bringt?»
    Diese Behauptung war nicht zu widerlegen. Aber ich gab mich noch nicht endgültig geschlagen.
    «Wenn du das Schild vor meiner Tür hängen läßt», sagte ich, «dürfte in weniger als einer Woche ganz Peking davon wissen. Dann heiße ich für alle Ewigkeit:
    Und so geschah es.
     
     
     

Frühlingserwachen
     

1
     
    Das Zeitwort «Stopfen» wird in meinem Handwörterbuch folgendermaßen erklärt: «Ein Loch schließen, indem man die Eigenart des Stoffes mit Faden und Nadel nachzuahmen sucht.» Aber diese Definition entspricht nicht der Arbeit, die gute chinesische Hausfrauen leisten. Wenn sie eine Socke stopfen oder einen Fleck auf ein Kleidungsstück aufsetzen, so wollen sie keineswegs «die Eigenart des Stoffes mit Faden und Nadel nachahmen». Ihre Kunst versucht nicht, zu verbergen: im Gegenteil, sie setzt einen gewissen Stolz darein, sich zu zeigen.
    Über die zerrissene Ferse einer meiner Wollsocken stickte die Mutter des Kleinen Lu einmal zwei scharlachrote Fledermäuse. Auf die Sitzfläche eines alten Seidenpyjamas nähte sie einen Fleck, der ein Stilleben von bemerkenswerter Qualität darstellte. Zur Rechten sah man, aus einem Stück gelber Seide ausgeschnitten, einen Affen, der einen langen, langen Arm nach einem Apfel auf der linken Seite ausstreckte.
    Obgleich diese hochbegabte Näherin stets gerne ihr möglichstes tut, kann ich doch nicht immer auf ihre Dienste rechnen. Eines Tages — es war gegen Ende Februar — rief ich Unvergleichliche Tugend und fragte, ob die Mutter des Kleinen Lu so freundlich sein könnte, mir einen Handschuh zu nähen, an dem beim Mittelfinger eine Naht aufgegangen war. Unvergleichliche Tugend erwiderte, daß es leider gerade heute unmöglich sei.
    Ich fragte: «Warum?»
    «Weil heute der zweite Tag des zweiten Mondes ist. Der Drache hebt das Haupt. Wenn man eine Nadel bewegt, könnte man ihn ins Auge stechen.»
    Ein warmer Hauch lag in der Luft und gab mir die Erklärung dieser geheimnisvollen Auskunft. In meinen Höfen glühten im Sonnenlicht die gesprenkelten Schwertlilien, und die Fliederbüsche hatten dicke, dicke Knospen. In den geschützten Winkeln des Gartens blühten die wilden Pflaumen; bald würden die Kirschbäume, die Pfirsich- und Mandelbäume folgen. Der Specht war aus dem Süden gekommen, ich hörte ihn mit dem Schnabel an die Bäume klopfen. Sein grünes Federkleid war Herold für das Grün, das später kam — viel später — auf Wiesen und auf Zweigen.
    Wenn der Drache das Haupt hebt, dann kommt der Frühling: das, was die Deutschen «Frühlingserwachen» nennen. Ein Stück von Wedekind führt diesen Namen. Es behandelt die Geschichte eines ganz jungen Mädchens, das viel Leid erfährt, weil es nichts vom Leben weiß. Das hätte nicht sein können, wäre es in China aufgewachsen. Im Osten öffnet der Drache die Augen vor einer Welt, die alles weiß, was von ihm zu wissen ist, und noch etwas mehr.
    Und gute Hausfrauen sind vorsichtig.
     
     
     

2
     
    Als die Fünf Tugenden verfügten, daß Kuniang in mein Haus ziehen solle, war sie noch nicht vierzehn. Sie ging am Morgen in die Schule und kehrte erst am Abend zurück, so daß ich sie nur wenig zu Gesicht bekam. Manchmal erkältete sie sich, und dann wurde Signor Cantes Arzt — ein Schiffsarzt von der italienischen Gesandtschaftstruppe — gerufen, um ihr etwas zu verschreiben. Wenn sie im Bett liegen oder zu Hause bleiben mußte, setzte ich mich zuweilen zu ihr und sah mir ihre Bücher und Zeitschriften an. Noch jedesmal staunte ich über ihre Fähigkeit, drei Sprachen zu lesen,

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