Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
Vom Netzwerk:
Peking ist, erwarte ich seinen Besuch. Ich möchte ihn gerne öfter sehen. Ich habe gehört, daß er sich während der letzten Unruhen in Honan besonders ausgezeichnet hat und daß die Eisenbahnbrücke über den gelben Fluß zerstört worden wäre, hätte er es nicht verhindert.»
    «Ja. Die Soldaten des Generals Feng wollten die Brücke in die Luft sprengen, sobald sie sie passiert hatten, damit sie nicht mehr verfolgt werden könnten. Aber Papa stellte sich mitten auf die Brücke und wollte nicht weg, obgleich sie drohten, das Dynamit anzuzünden. Er erklärte ihnen, wenn sie ihn in Stücke sprengten, würden sie von diesen Stücken zerrissen. Ich weiß nicht, ob sie ihm glaubten oder das Ganze für einen Scherz hielten. Aber schließlich zündeten sie bloß hinten, am Ende der Brücke, ein bißchen Dynamit an, wo es niemandem schaden konnte. So wurde der Befehl des Generals ausgeführt, ohne daß der Brücke etwas geschah.»
    «Und dein Vater gilt heute als der chinesische Horatius Codes. Ich hoffe, daß du ihn morgen oder übermorgen herbringst.»
    «Er wird nicht haben wollen, daß ich dabei bin», sagte Kuniang, «wenn er mit dir über mich spricht.»
    «Hast du etwas angestellt?»
    «Das würde er dir nicht erzählen. Er will dich um keinen Preis belästigen. Er ermahnt mich ununterbrochen, daß ich dir keine Mühe machen darf. Und wenn bei mir etwas nicht in Ordnung wäre, so würde er es bestimmt nicht erfahren. Ich tue mein möglichstes, um ihm nicht zur Last zu fallen. Er hat so viele Sorgen, wenn er unten auf der Strecke ist.»
    «Mir scheint, du hast es wirklich nicht leicht. Ich darf nicht belästigt werden und dein Vater darf nicht belästigt werden. Du bist zu jung, um allein mit allem fertig zu werden.»
    «Oh, es geht schon», sagte Kuniang tröstend.
     
     
     

3
     
    Cante de’Tolomei. Für mich verband sich immer ein Glücksgefühl mit diesem Namen, auch wenn ich ihn nur auf einer Visitenkarte las, wie sie mir Unvergleichliche Tugend am nächsten Tag auf spiegelnder Bronzetasse überreichte. Er gemahnt an den fünften Gesang des Purgatorio und an die sanftmütige Gestalt der Pia de’Tolomei («Ricordati di me che son la Pia»).
    Als Kuniang und ihre Eltern noch in dem roten Haus mit dem Turm wohnten, blieb ich manchmal stehen und besah mir ihr Messingschild an der Tür. Der Dantesche Name verband sich mit Ah-ting-fus himmlischen Hosen. Gemeinsam erhoben sie sich aus dem grauen Staub einer Pekinger Straße und die beiden nicht zueinander gehörigen Bestandteile vereinigten sich zu einem Rätsel, dessen Lösung ich vielleicht einmal finden würde. Ich hatte das Gefühl, es müsse einen Grund geben, warum ein Name, der Sienas Ruhm im fünfzehnten Jahrhundert verkörpert und in der italienischen Geschichte mit den Namen Medici und Farnese verbunden ist, in einer Straße just vor den Bollwerken der Tatarenmauer wieder auftauchte, obgleich sein Träger nur bescheidener Angestellter einer chinesischen Eisenbahn war. Bilder von Städten, auf Hügeln erbaut, Bilder von Zypressen und Ölbäumen, von Türmen und Kuppeln, von offenen Plätzen und bogigen Durchlässen über schmalen Gäßchen stiegen vor mir auf, beschworen durch den Zauber eines Namens. Und mit dem Auge des Geistes sah ich die Formen edelster Renaissance an dem Palast der Tolomei in Siena und die großen eisernen Ringe zu beiden Seiten des Tores, an denen die Besucher ihre Pferde festbanden.
    Ich dachte daran, was die Sienesen sagen würden, wenn eines Tages Signor Cante vor dem Palast seiner Ahnen erschiene (so wie vor dem Heim der Fünf Tugenden), nicht auf feurigem Roß und nicht im Auto, sondern in einer Rikscha.
    Er wurde in das Arbeitszimmer geführt, und ich fand ihn in gedrückterer Stimmung als sonst. Aber seine Laune besserte sich, als ich ihn zur Heldentat auf der Brücke beglückwünschte.
    «Deswegen komme ich auch zu Ihnen», sagte er.
    Ich sah ihn erstaunt an, denn ich verstand nicht recht, womit ich ihm bei den Heeren, die einander am Gelben Fluß befehdeten, behilflich sein konnte. Doch er erklärte sich:
    «Das Leben in den Inneren Provinzen wird mit jedem Tag schwerer. Ich bin chinesische Revolutionen gewöhnt. Seit ich in China bin, habe ich jeden Frühling eine erlebt. Ich hatte Zusammenstöße mit dem Weißen Wolf, mit den Roten Speeren und mit dem Christlichen General, gar nicht zu reden von den Harmonischen Fäusten im Jahre 1900.»
    «Sie meinen die Boxer?»
    «Ja.»
    «Immerhin scheinen Sie alle überlebt zu

Weitere Kostenlose Bücher