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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Dysart geträumt hat.»
    «Es muß wohl ganz furchtbar gewesen sein, nach der Wirkung auf Paul zu schließen?»
    «Allerdings. Und ich weiß bis heute nicht, ob mir Dorbon durch eine List das Leben retten oder bloß seine angeborene Grausamkeit oder irgendwelche seltsamen Lüste befriedigen wollte.»
    «Also etwa das, was die Chinesen nennen
    «Jawohl. Wir inszenierten allerhand Ereignisse, ähnlich wie Hamlet sein Spiel in Elsinore, oder wie Scheherezade, die Märchen erzählte, um ihr Leben zu retten. Der Plan war derart raffiniert, wie ihn nur der Osten ersinnen kann. Für mich lag das Grauen darin, daß wir, da wir einmal begonnen hatten, nicht mehr aufhören konnten. Dorbon sagte ganz richtig :< Wer auf dem Tiger reitet, darf nicht herab. >»
    Ich fuhr auf, und Elisalex fragte: «Kennen Sie diese Redensart?»
    «Ja. Es ist ein chinesisches Sprichwort. Und was geschah dann?»
    «Der Plan gelang über alle Erwartung, und die Mär von unseren Taten verbreitete sich über das zusammenstürzende Zarenreich, von Archangelsk bis Odessa und von Warschau bis Wladiwostok. Die Soldaten erzählten sie sich an den Lagerfeuern. Die Burjaten machten ein Lied daraus. In Peking warteten die Kosaken der Gesandtschaftstruppe darauf, mich vorbeigehen zu sehen. Und ihre Boys schrieben anonyme Briefe.»
    «Wollen Sie mir die Geschichte nicht erzählen? Ich kenne sie doch nicht!»
    «Sie hatten andere Interessen. Sie erlebten mit Kuniang Ihre eigene, unmodern süße Geschichte.»
    «Kennt auch Kuniang sie nicht?»
    «Nein. Und ich erzähle sie Ihnen nur unter der Bedingung, daß Sie sie ihr niemals weitererzählen.»
    «Das verspreche ich.»
    «Aber Sie sind Schriftsteller. Sie werden die Geschichte niederschreiben, und dann wird Kuniang sie lesen.»
    «Ich verspreche Ihnen, daß ich sie nicht niederschreiben werde.»
    Daraufhin erzählte sie mir die Geschichte.
    Ich bereue dieses Versprechen. Denn nun scheint es mir, als stünde im Mittelpunkt von meinem und Kuniangs Leben, im Mittelpunkt dieses Buches eine Geschichte, die nicht erzählt werden darf. Sie besteht aus unsterblichen Elementen: aus Liebe und Mut, aus Leid und Schande. Der Abt erzählte sie in einem Traum. Ich bezweifle, daß ich ihr gerecht werden könnte. Aber ich hätte es gerne versucht.
    Nun muß ich mich mit bescheideneren Dingen begnügen: mit stillen Höfen und einem wohlbehüteten Garten; mit mir selbst, mit Kuniang und dem kleinen Lu; mit Onkel Podger und der russischen Familie, die weiter unten in der Gasse wohnt.
    Gleich Ah-ting-fu nenne ich mich einen Schneider himmlischer Hosen, aber meine Waren heißen nur himmlisch. Paul Dysart konnte ein Leben träumen, das zu furchtbar wär, um bis ans Ende erlebt zu werden. Kuniang hat das Entsetzen der Trauung mit Paul noch immer nicht vergessen. Solche Dramen der Leidenschaft sind nichts für mich. Mir ist nur ein stiller Gleichmut vergönnt, und ich genieße mein Glück, multipliziert mit zwei, wie das Zeichen Fu auf dem Kristallspiegel.
    Dennoch scheint es mir, wenn ich an meinem Schreibtisch von diesen Ereignissen berichte, als blickten Elisalex und der Abt auf mich herab. Der Abt trägt den schwarzen, gegürteten Rock des Kosaken, Elisalex ist von der Taille aufwärts nackt unter dem Brautschleier. Und das Alexanderkreuz funkelt zwischen ihren Brüsten.
    Wie in Pirandellos «Sechs Personen suchen einen Autor» müssen sie einen anderen Autor suchen. Ich darf ihre Geschichte nicht schreiben.
    Carducci sagt einmal, daß der Gedanke, der, noch ungestaltet im Gehirn schlafend, ein Klang des Ewigen Gedichtes war, nur einen einzigen, kleinen Vers ergab, als er ihn niederschrieb:
     
    ...Fu una nota del poema eterno
    Quel ch’io sentiva e picciol verso or è.
     
    Für mich ist die Geschichte, die nicht erzählt werden darf, ein Klang des Ewigen Gedichtes. Und das muß sie bleiben.
     
     
     

5
     
    Als ich Elisalex verlassen hatte und in mein Abteil zurückkam, fand ich Kuniang in heftigem Kampf mit den Bettdecken, die unentwegt herunterfallen wollten, wie das im Schlafwagen so oft vorkommt. Der erste Schimmer der Dämmerung leuchtete durch das Fenster. «Mir träumte, daß ich wieder in Peking war», sagte Kuniang, «und zwar mit Natascha im Schulzimmer. Wir hatten eben argen Krach mit Matuschka. Ich bin gerade im richtigen Augenblick aufgewacht.»
     
    Gegen halb fünf ersuchte ich den Prowodnik, mir einen Träger (oder Flüchtling) vom Bahnhof zu holen und unser Gepäck auf den Bahnsteig zu schaffen;

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