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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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Bahnhof an.
    Dort suchten wir jemanden, der uns die Koffer trug, und folgten Elisalex durch die Stationsgebäude; wie gewöhnlich war der Bahnhof zum Ersticken voll mit Menschen, die alle das unbeschreiblich elende Aussehen von Flüchtlingen hatten. Auf dem Bahnsteig kamen wir an einer hübschen jungen Dame vorüber, die zwei amerikanischen Offizieren etwas auseinandersetzte. Sie sprach englisch, aber mit fremdländischem Akzent. Ich warf die Frage auf, wer das wohl sein könnte; Elisalex, die vor uns ging, hörte meine an Kuniang gerichtete Bemerkung. Ohne sich umzuwenden, sagte siegleichgültig:
    «Wahrscheinlich eine Zarentochter. Es sollen viele in der Stadt sein.»
    «Eine Zarentochter? Was heißt das?»
    Elisalex marschierte eben über die Geleise. Um ihre Erklärung zu hören, mußte ich hinter ihr herlaufen und über die Schienen und Schwellen hüpfen.
    «Es gibt hier Unmengen junger hilfloser Mädchen», sagte sie, «die auf irgendeine Weise bis in die Mandschurei gekommen sind. Sie haben ihre Eltern verloren, ihr Heim, alles. Sie gehen schnurstracks auf die ausländischen Offiziere los und beginnen mit der Mitteilung, sie seien Töchter des Zaren. Wenn ihnen der Offizier das auch nicht immer glaubt, so ergibt es vielleicht doch eine Mahlzeit oder ein warmes Bett.»
    Im nächsten Augenblick blieb Elisalex vor einem Waggon stehen und kletterte die Stufen hinauf, die hoch über dem Boden begannen. Ein Beamter in Uniform, offenbar eine Wache, grüßte sie, als sie vorbeikam. Nach ihr kletterten Kuniang und ich hinauf. Der Wagen war ein gewöhnlicher Schlafwagen erster Klasse der Ostchinesischen Bahn, und Elisalex bewohnte zwei seiner Abteile. Eines davon räumte sie mit unserer Hilfe aus und schaffte ein paar Koffer und Pakete in Packpapier weg. Dann forderte sie uns auf, wir sollten es uns gemütlich machen. In den anderen Abteilen saßen Beamte. Aber wir sahen bloß den Rauch ihrer Zigaretten, der den Gang erfüllte. Der ganze Waggon stank nach kaltem Rauch, schien aber verhältnismäßig sauber. Ich war froh, daß ich nicht noch eine Nacht im Operationsstuhl des Zahnarztes verbringen mußte.
    Elisalex brachte es anscheinend nicht über sich, auch nur einen Blick von Kuniang zu wenden. Sie beobachtete sie mit dem ganzen Stolz einer alten Erzieherin, die einen Schützling aus früherer Zeit erwachsen wiederfindet.
    Im Waggon war auch ein Diener, ein Prowodnik, der sich auf mancherlei Art nützlich machte. Aber Elisalex bestand darauf, eigenhändig den Tee für uns zu kochen, und holte heißes Wasser aus einem geheizten Samowar, der am Ende des Ganges stand. Statt der Schalen bekamen wir Wassergläser mit metallenen Griffen.
    «Zitrone oder Milch habe ich leider nicht», sagte sie. «Aber in dieser Schachtel ist noch etwas Zucker.» Sie nahm eine blecherne Biskuitdose aus dem Gepäcknetz und reichte sie mir. Die Dose war halb voll mit Stückzucker und Kuchen, alles durcheinander.
    «In Ihrem Pekinger Haus war der Tee besser», fügte Elisalex hinzu. Und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, als läge ein Klang von Trauer in ihrer Stimme, Trauer um schönere Tage, die nicht wiederkommen.
     
     
     

3
     
    Obgleich das Bett keine Laken hatte, sondern bloß Kotzen, fühlte ich mich im Schlafwagen weit behaglicher als auf dem Operationsstuhl des Zahnarztes in den Nächten vorher. Trotzdem konnte ich nicht einschlafen; Kuniang schlummerte friedlich auf dem unteren Bett. Immer wieder sah ich zu ihr hinunter. In dem schwachen Lichtschein, der durch das geöffnete Fenster eindrang, nahm ich gerade noch die Umrisse ihres Kopfes und der Arme aus.
    Es war sonderbar still, obwohl sich in den Waggons ringsum viele Hunderte von Menschen befanden, vielleicht sogar an tausend, die alle auf den Nebengleisen dieses Rangierbahnhofes ein Heim gefunden hatten. Einmal hörte ich eine Männerstimme in einem weiter unten stehenden Waggon singen, andere fielen ein und verklangen wieder. Es war ein trauriges Lied, offenbar ein russisches Lied, und bald erstarb der Gesang. Länger als eine Stunde hörte ich das leise Zischen einer Lokomotive unter Dampf, dann fuhr sie endlich weg.
    Ich dachte die ganze Zeit an Elisalex. Sie hatte nicht mehr vom «Himmlischen Reich» gesprochen, und ich wußte nicht mehr von ihr als an jenem Abend in Peking, da sie mich besuchte und den Samtmantel auseinanderschlug, um mir das Alexanderkreuz zu zeigen.
    Eine Stunde nach Mitternacht hörte ich, daß jemand im Korridor umherging. Ich konnte keine

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