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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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jetzt den Hügel hinabrollte, weil Pete Mendoza so froh gewesen war, noch vor dem Angriff nach Hause zu kommen, daß er das Auto im Leerlauf und mit gelöster Handbremse hatte stehen lassen, und dem Auto das nach und nach bewußt geworden war. Ich bin frei, sagte es sich. Man hat die Zellentür aufgelassen. Ich brauche nur loszugehen. Also ging es los, erst schwankend wie Mickie und, auch vielleicht wie Mickie, in der Hoffnung auf den glücklichen Zusammenstoß, der seinem Leben eine andere Richtung geben würde, dann aber verzweifelt in vollem Galopp davonrasend, und nur der Himmel wußte, wo und mit welcher Geschwindigkeit es landen und was für Schäden es unterwegs anrichten würde oder ob ihm etwa durch die Laune eines übereifrigen deutschen Ingenieurs die Kinderwagenszene aus irgendeinem russischen Film, dessen Titel Pendel vergessen hatte, in eins seiner versiegelten Aggregate einprogrammiert worden war.
    Alle diese kniffligen Einzelheiten waren für Pendel von enormer Bedeutung. Wie Mrs. Costello konnte er sich völlig darin verlieren, wohingegen die Schüsse von Ancón Hill und die immer wieder wendenden und von neuem angreifenden Kampfhubschrauber ihm bis zum Überdruß vertraut waren, Teil der alltäglichen Realität, falls das denn alltägliche Realität war: ein armer Schneiderjunge, der Feuer legte, um seinem Freund, der ihn in der Hand hatte, einen Gefallen zu tun, und dann die Welt in Rauch aufgehen sah. Und das ganze Zeug, von dem man dachte, es läge einem am Herzen, der wenig angebrachte Leichtsinn auf dem Weg dorthin.
    Nein, Herr Richter, ich habe diesen Krieg nicht angefangen.
    Ja, Herr Richter, ich gebe zu, es ist möglich, daß ich die Hymne geschrieben habe. Aber bei allem Respekt, gestatten Sie mir den Hinweis, daß derjenige, der die Hymne schreibt, nicht notwendig auch den Krieg beginnt.
    »Harry, ich begreife einfach nicht, wie du da draußen bleiben kannst, wenn deine Familie dich anfleht, zu ihr reinzukommen. Nein, Harry, nicht gleich. Sondern jetzt. Wir möchten, daß du jetzt bitte reinkommst. Du sollst uns beschützen.«
    Ach Lou, ach Gott, ich wünschte mir ja auch so sehr, so sehnlich, daß ich zu ihnen kommen könnte. Aber ich muß erst die Lüge abschütteln, auch wenn ich, Hand aufs Herz, die Wahrheit gar nicht kenne. Ich muß gleichzeitig bleiben und gehen, aber in diesem Augenblick kann ich nicht bleiben.
    Es hatte keine Vorwarnung gegeben, aber schließlich war Panama ständig gewarnt. Benimm dich, du Zwerg, oder es passiert was. Denk daran, du bist kein Land, sondern ein Kanal. Im übrigen war das Bedürfnis nach solchen Warnungen ohnehin übertrieben. Gibt ein durchgebrannter blauer Mercedeskinderwagen ohne Baby an Bord ein Warnzeichen, bevor er eine kurvige Straße hinunterbraust und dann in eine Schar Flüchtlinge kracht? Natürlich nicht. Gibt ein Fußballstadion ein Warnzeichen, bevor es zusammenbricht und Hunderte tötet? Warnt ein Mörder sein Opfer im voraus, daß die Polizei kommen und fragen wird, ob es ein britischer Spion ist und ob es ein oder zwei Wochen in Gesellschaft von Schwerverbrechern in Panamas bestausgestattetem Kittchen verbringen will? Und was die spezielle Warnung vor menschlichen Absichten betrifft – »Wir haben vor, euch zu bombardieren« – »Wir haben vor, euch zu verraten« – warum denn alle warnen? Den Armen würde eine Warnung nichts nützen, weil es für sie sowieso keinen Ausweg gibt, bis auf den, den Mickie gewählt hatte. Und die Reichen brauchten keine Warnung, weil es bei den Überfällen auf Panama längst Usus war, die Reichen zu schonen, wie Mickie zu sagen pflegte, ob er betrunken oder nüchtern war.
    Jedenfalls hatte es keine Warnung gegeben, und die Kampfhubschrauber kamen wie üblich von See her; nur gab es diesmal keinen Widerstand, denn es gab keine Armee. Und El Chorillo hatte klugerweise schon kapituliert, bevor die Flugzeuge dorthin gelangt waren – ein Zeichen dafür, daß die Stadt endlich gelernt hatte zu spuren und daß auch Mickie mit seiner vergleichbaren Präventivmaßnahme keinen Fehler begangen hatte, selbst wenn das Ergebnis eine einzige Schweinerei gewesen war. Ein Wohnblock wie der, in dem Marta wohnte, ging aus freien Stücken in die Knie und erinnerte ihn an Mickie, wie er verkehrt herum auf dem Boden gelegen hatte. Das provisorische Gebäude einer Grundschule steckte sich selbst in Brand. Ein Altersheim sprengte sich ein Loch in die Mauer, das nahezu exakt die gleiche Größe hatte wie das Loch in

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