Der Schneider
FETTWANST. Ein eher sachlicher und daher weitgehend unbeachteter Artikel in einer unabhängigen kleinen Tageszeitung berichtete, Abraxas Witwe sei binnen Stunden nach dem Auffinden der Leiche ihres Mannes außer Landes geschafft worden und erhole sich jetzt angeblich in Miami unter dem Schutz eines gewissen Rafi Domingo, eines prominenten Panamaers, der mit dem Toten eng befreundet gewesen sei.
Eine von drei panamaischen Pathologen in aller Eile veröffentlichte Gegendarstellung, in der behauptet wurde, Abraxas sei Gewohnheitstrinker gewesen und habe sich nach Genuß von einem Liter Scotch in einem Anfall von Depression erschossen, wurde mit gebührendem Spott quittiert. Eine von Hatrys Boulevardzeitungen faßte die öffentliche Reaktion so zusammen: IHR WOLLT UNS WOHL FÜR DUMM VERKAUFEN, SEÑORES! Eine amtliche Erklärung des britischen Geschäftsträgers, Mr. Simon Pitt, in der es hieß, »Mr. Abraxas hat weder offizielle noch inoffizielle Verbindungen zu unserer Botschaft oder irgendeiner anderen britischen Vertretung in Panama gehabt«, erschien plötzlich in besonders schlechtem Licht, als entdeckt wurde, daß Abraxas einmal eine Zeitlang Vorsitzender des englisch-panamaischen Kulturvereins gewesen war. Dieses Amt hatte er angeblich »aus Gesundheitsgründen« aufgegeben. Ein Spionagefachmann erklärte zum Wohle der Nichteingeweihten die verborgene Logik dieses Sachverhalts. Nachdem Abraxas von Mitarbeitern des örtlichen Nachrichtendienstes als potentieller britischer Agent »ausgemacht« worden sei, habe man ihn aus Gründen der Tarnung angewiesen, alle nach außen sichtbaren Verbindungen zur Botschaft zu kappen. Um dies korrekt durchzuführen, habe man allerdings einen »Streit« mit der Botschaft aushecken müssen, um Abraxas von seinen Kontrolleuren zu »entfremden«. Von einem solchen Streit wolle Mr. Pitt aber nichts wissen, und möglicherweise habe Abraxas für diesen Mangel an Fantasie auf seiten der britischen Geheimdienste teuer bezahlen müssen. Aus informierten Kreisen wurde berichtet, daß die panamaischen Sicherheitsbehörden schon seit einiger Zeit an Abraxas’ Aktivitäten interessiert gewesen seien. Ein Schattenminister der Opposition, der die Unverfrorenheit besaß, sinngemäß auf einen Ausspruch Oscar Wildes zu verweisen, wonach keine Sache dadurch besser werde, daß ein Mann dafür gestorben sei, wurde von den Boulevardzeitungen gehörig an den Pranger gestellt, und ein Hatry-Organ versprach seinen Lesern gar schockierende Enthüllungen über das glücklose Sexualleben dieses Mannes.
Dann richtete sich eines Morgens das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit wie auf Kommando auf Die Dreierbande von Panama, wie sie von da an genannt wurden, nämlich die drei britischen Diplomaten, die nach den Worten eines Kommentators »am Vorabend des grausamen Angriffs der US-Luftwaffe ihre Habseligkeiten, ihre Frauen und Luxuskarossen heimlich aus der Botschaft gebracht« hätten. Von der Tatsache, daß es in Wahrheit vier Diplomaten waren, und darunter eine Frau, ließ man sich eine gute Schlagzeile natürlich nicht verderben. Die von einer unglücklichen Sprecherin des Außenministeriums verlesene Erklärung für die Abreise der Botschaftsmitglieder stieß auf allgemeine Heiterkeit:
» Mr . Andrew Osnard war kein fester Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes , lediglich sein hochqualifiziertes Expertenwissen über den Panamakanal wurde vorübergehend in Anspruch genommen .«
Die Presse machte sich ein Vergnügen daraus, auf die Herkunft seines hochqualifizierten Expertenwissens hinzuweisen: Eton, Windhundrennen und Go-Kartfahren in Oman.
Frage: Warum hat Osnard Panama so überstürzt verlassen?
Antwort: Mr. Osnards Einsatzmöglichkeiten galten als beendet.
F: Weil Mickie Abraxas’ Leben beendet war?
A: Kein Kommentar.
F: Ist Osnard ein Spion?
A: Kein Kommentar.
F: Wo befindet sich Osnard jetzt?
A: Über Mr. Osnards derzeitigen Aufenthalt ist uns nichts bekannt.
Arme Frau. Am nächsten Tag half ihr die Presse stolz mit einem Foto weiter, auf dem Osnard in Gesellschaft einer bekannten Schönheit, die doppelt so alt war wie er, an den Skipisten von Davos keinen Kommentar abgab.
» Botschafter Maltby wurde kurz vor Beginn der Operation Sichere Durchfahrt zu Konsultationen nach London zurückgerufen . Der Zeitpunkt für diesen Rückruf war rein zufällig .«
F: Was heißt kurz?
A: (dieselbe bedauernswerte Sprecherin) Kurz.
F: Vor seinem Verschwinden oder danach?
A: Die Frage ist
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