Der Schock: Psychothriller (German Edition)
Eltern. Ich habe erzählt, dass er es versucht hätte, mehr nicht.«
»Waren Sie bei der Polizei?«
»Wo denken Sie hin. In einer Familie aus Ärzten und Privatbankiers? Da bleibt alles unter der Decke. Kein Krankenhaus, keine Polizei, kein gar nichts. Das Personal hat das Haus aufgeräumt, mein Vater hat meine Prellungen und Schürfwunden behandelt, und meine Mutter ist in die Kirche gegangen und hat für mich gebetet.«
»Gebetet?« Eine rote Ampel flog auf Jan zu. Notgedrungen bremste er, fuhr an die Kreuzung heran und beschleunigte erneut.
»Jeden einzelnen Tag. Katholikin durch und durch. Mein Vater ist fremdgegangen und meine Mutter in die Kirche. Sie war der Meinung, ich sei betrunken gewesen. Betrunken und damit selber schuld.« Sie deutete mit der linken Hand geradeaus. »Einfach weiterfahren, auf den Hohenzollerndamm.«
»Und als Sie gemerkt haben, dass Sie schwanger waren, wollten Sie abtreiben.«
»Ja. Das wollte ich. Ich hatte mir heimlich einen Termin verschafft. Als meine Mutter davon erfuhr, ist sie schier durchgedreht. Die Schwangerschaft war schon ein Schock für sie. Doch Abtreibung, das war eine Todsünde.«
»Aber Sie sind vergewaltigt worden«, wandte Jan ein. Gut hundertfünfzig Meter vor ihm sprang eine Ampel auf Gelb, und er beschleunigte auf über 100 km / h. Die Geschwindigkeit trieb ihm den kalten Schweiß auf die Stirn.
»Davon wollte sie nichts hören. Ich war schuld und basta. Am Ende ist alles außer Kontrolle geraten. Wie Sie schon sagten, sie ist handgreiflich geworden bei einem unserer Streits. Seitdem sitze ich in diesem verdammten Stuhl.«
Jan versuchte sich auf die Fahrbahn zu konzentrieren. Das Lenkrad unter seinen Händen war schweißnass, die Wunde war mehr als hinderlich beim Lenken. Vor ihnen tauchte eine große Kreuzung auf.
»Sie müssen nach links, auf die A100 Richtung Charlottenburg.«
Jan ging mit hoher Geschwindigkeit in die Kurve. Gott sei Dank Autobahn, dachte er. Keine Ampeln, keine Kreuzungen. »Und Ihr Mann?«
»Was hat er Ihnen denn erzählt?«
»Dass er alle Ihre Versuche abzutreiben zunichtegemacht hat.«
»Er hat was ?«
Jan zögerte einen Moment. »Er hat behauptet, er wäre Lauras Schutzengel gewesen. Von Anfang an. Er sah da eine regelrechte Verschwörung im Gange. Offenbar hat er sogar einen Arzt umgebracht, der von Ihrem Vater bestochen worden war.«
Ava Bjely gab einen merkwürdigen Laut von sich und rieb sich mit der Hand das Gesicht. »O Gott, wenn ich das geahnt hätte! Froggy tauchte vom ersten Tag an im Krankenhaus auf. Ich lag da, mit dem Kind im Bauch und dem Wissen, dass ich ein Leben lang ein Krüppel bleiben würde. Anfangs habe ich ihn immer wieder weggeschickt. Ich mochte ihn nicht. Dass er sich überhaupt an mein Bett wagte. Als wollte er damit sagen, dass ich jetzt wäre wie er: ein Außenseiter. Eine tragische Figur. Jemand, der nur Mitleid abkriegt. Mitleid war das Letzte, was ich wollte.
Trotzdem kam er jeden Tag. Am Ende war er der Einzige, der sich für mich interessierte. Der Einzige, dem ich vertrauen konnte. Dachte ich jedenfalls. Er schien mich so zu akzeptieren, wie ich war, lange bevor ich es konnte: querschnittsgelähmt, ein Leben lang an den Rollstuhl gefesselt, mit einem Kind von einem Vergewaltiger.«
»Wann haben Sie gemerkt, dass Sie den Mann geheiratet haben, der Sie vergewaltigt hat?«
»Im Oktober 1992, an Halloween. Ausgerechnet. Laura war schon vierzehn. Er und ich, wir hatten schon immer getrennte Betten – und getrennte Stockwerke. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass er die meiste Zeit in Wien oder sonst wo war und sich um unsere Immobilien gekümmert hat.
Er kam spät nach Hause, zwischen drei und vier, aber ich war wach. Ich habe die Haustür gehört. Die Tür zum Wohnzimmer stand einen Spalt offen. Er hat mich gar nicht bemerkt, so aufgewühlt war er. Als wäre irgendetwas schiefgegangen. Sein Gesicht und sein ganzer Kopf waren übermalt mit diesen schwarzen Streifen. Es war das Gesicht meines Vergewaltigers.
Im ersten Augenblick dachte ich, o Gott, er ist wieder da. Es passiert wieder. Ich habe diese Gestalt nicht im Geringsten mit meinem Mann in Verbindung gebracht. Bis er die Treppe hinaufging, mit den Schritten meines Mannes. Und im Bad geduscht hat, so lange, wie sonst nur mein Mann duscht. Da wusste ich es.«
»Haben Sie Laura deshalb ins Internat geschickt?«
Ava Bjely nickte. »Laura war damals gerade in der Pubertät und sah mir – bis auf meine blonden Haare – unglaublich
Weitere Kostenlose Bücher