Der Schock: Psychothriller (German Edition)
ähnlich. Und nachdem ich ihn in dieser … Bemalung gesehen hatte … ich wusste ja, wozu er fähig war. Ich hatte Angst um Laura.«
»Wissen Sie, was er in dieser Nacht getan hat?«
»Ich kann es mir denken.«
»Und Sie haben nichts dagegen unternommen?«
»Ich habe meine Tochter in Sicherheit gebracht.«
»In Sicherheit? Indem Sie sie ins Internat gesteckt haben? Gottverdammt! Sie hätten die Polizei rufen müssen. Ihr Mann ist ein Psychopath, ein Killer. Er hat inzwischen mehr als ein Dutzend Frauen getötet. Allesamt Frauen, die Ihnen und Laura ähnlich sahen. Sie hätten ihn aufhalten können.«
Ava Bjely saß stocksteif auf ihrem Sitz. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich habe es selbst gesehen. Er hat ihre Körper in Harz gegossen und im Herrenhaus eingemauert.«
Ava Bjely rang hörbar nach Luft.
Jan wechselte auf die rechte Spur und jagte an einem langsameren Wagen vorbei. Ava Bjelys Entsetzen wirkte nicht im Geringsten gespielt.
»In Harz gegossen, sagen Sie? Und eingemauert? O Gott. Warum … warum tut er das?«
»Weil er besitzergreifend ist. Ein Narziss und ein Kontrollfreak, mit einem ganz eigenen Weltbild«, sagte Jan und wechselte zurück auf die linke Spur. »Wer ihm in die Quere kommt, der wird getötet. Und wen er begehrt, den will er besitzen. Oder zumindest kontrollieren. So wie Sie. Und Laura. Sie beide scheinen allerdings die einzigen Menschen zu sein, die er nicht töten konnte – oder wollte. Stattdessen hat er andere Frauen in seine Gewalt gebracht. Dass er sie in Harz gegossen hat, ist so etwas wie …«, er suchte nach Worten und las gleichzeitig die vorbeifliegenden Straßenschilder, »wie die ultimative Kontrolle, sozusagen über den Tod hinaus, als wäre er Gott.«
»Aber wenn Sie denken, dass er Laura und mich nicht töten kann, warum –«
»Er konnte es bisher nicht. Aber die Dinge sind völlig aus dem Ruder gelaufen. Ich fürchte, für ihn gibt es nur noch einen Weg, die Sache wieder unter Kontrolle zu bekommen …« Er stockte, wagte es kaum auszusprechen. »Er wird Laura in Harz gießen wollen.«
Ava Bjely saß wie versteinert da, sagte nicht ein einziges Wort. Ihr Kiefer mahlte stumm, ihre Finger hatten sich um den Revolver gekrampft.
Vereinzelt schlugen Regentropfen gegen die Windschutzscheibe, und eine Windböe riss am Lenker. Ava Bjely deutete mechanisch nach rechts. »Da vorne …« Ihre Stimme versagte, sie musste sich räuspern. »Da müssen Sie runter, auf den Siemensdamm.«
»Das Haus ist in Siemensstadt?«
Ava Bjely nickte nur. Ihre Zähne mahlten so sehr aufeinander, dass Jan meinte, es trotz der Fahrgeräusche hören zu können.
Kapitel 52
Berlin, 22. Oktober, 03:13 Uhr
Jan bog in die schmale Straße ein. Um diese Uhrzeit wirkte das Wohngebiet wie ausgestorben. »Hier?«
»Hier«, nickte Ava Bjely.
Straßenlaternen hingen über den parkenden Autos, die eine enge Gasse bildeten. Ava Bjely musste nichts weiter sagen. Jan entdeckte das Haus sofort; auf dem Gehweg davor stand der weiße Lieferwagen.
Er lenkte den Cherokee in eine Parklücke. Rasch schaltete er das Licht und den Motor aus. Einzelne Regentropfen schlugen laut auf das Wagendach.
Die Straße war gesäumt von drei- und vierstöckigen Mehrfamilienhäusern, aus denen uniforme Balkone wie herausgezogene Schubladen ragten. Fjodor Bjelys Elternhaus wirkte wie aus der Zeit gefallen; ein freistehendes Einfamilienhaus mit einem Krüppelwalmdach, überwuchert von wildem Wein. Der Herbst hatte die Blätter heruntergefegt. Übrig geblieben waren knorrige Äste, wie ein Geflecht aus vertrockneten Adern. Darunter schälte sich das Haus hervor, düster und fleckig. Die ehemals hellroten Dachschindeln hatten dunkle Male, als wäre das Haus von Metastasen befallen, die Fensterläden waren geschlossen, und der Gartenzaun verschwand unter dichtem Efeu.
»Meinen Sie, er ist wirklich hier?«, fragte Ava Bjely.
Jan nickte entschlossen und zeigte auf den Lieferwagen. »Der stand vorhin noch in der Garage des Herrenhauses.« Dann deutete er auf den Revolver. »Wenn Sie Laura wiedersehen wollen, sollten Sie mir das Ding geben.«
»Ich will nicht, dass Sie die Polizei rufen.«
»Herrgott noch mal! Er ist da drinnen und stellt gerade weiß Gott was mit Laura an.«
Ava Bjely biss sich auf die Lippen. »Zehn Millionen.« Sie sah ihn aus schmalen Augen an. »Zehn Millionen, wenn Sie ihn erschießen.«
Jan starrte sie fassungslos an. »Sie sind krank.«
»Nicht so krank wie er. Zehn
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