Der Schock: Psychothriller (German Edition)
dem Dach.
Er starrte auf die dunkle Front des Hauses. Im selben Moment zerriss ein Schuss die Stille.
Dann noch einer.
Jan warf sich bäuchlings ins Gras. Sein Herz schlug dumpf und rasend schnell. Der Geruch von nasser Erde drang ihm in die Nase. Er spähte zur Villa. Der Eingangsbereich war genauso dunkel wie zuvor. Woher, zum Teufel, waren die Schüsse gekommen? War das Fjodor?
»Wer auch immer da ist«, schallte Ava Bjelys Stimme durch den Garten. »Verschwinden Sie, oder ich jage Ihnen eine Kugel durch den Kopf!«
Jan atmete erleichtert auf, doch im selben Moment begriff er, dass Fjodor nun gewarnt war. »Frau Bjely!«, rief er halblaut. »Ich bin’s. Jan Floss.«
Stille.
»Ich stehe auf und komme zu Ihnen rüber. Nicht schießen!« Er erhob sich und lief auf die Villa zu. Im Hausflur ging das Licht an. Ava Bjely erwartete ihn in der geöffneten Tür. Auf ihrem Schoß lag ein silbern glänzender Revolver. Sie musterte Jan von Kopf bis Fuß. »Warum gehen Sie nicht an Ihr verdammtes Telefon?«
»Wo ist Ihr Mann?«
Sie runzelte die Stirn. »Woher zum Teufel soll ich das wissen? Mich interessiert viel mehr, was mit meiner Tochter und mit meinem Bruder los ist?«
»Ihr Bruder ist tot. Seine Leiche liegt vermutlich im Herrenhaus, und das brennt gerade bis auf die Grundmauern nieder.«
Ava Bjelys Mundwinkel zuckten. Ansonsten zeigte sie keine Regung. »Und Laura?«
»Ihr Mann hat sie.«
»Mein Mann?« Mit einem Schlag wurde Ava Bjely kreidebleich. Automatisch griff sie wieder zum Revolver. »O Gott, nein«, flüsterte sie.
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht wissen, wo er ist?«, fragte Jan.
Sie starrte wie paralysiert auf ihre Hände.
»Frau Bjely!«
»Was ist geschehen?«, fragte sie tonlos.
»Dafür ist keine Zeit. Ich muss Ihren Mann finden. Er will Laura töten.«
Ava Bjely nickte, als hätte sie seit Jahren nichts anderes erwartet.
»Sind Sie sicher, dass er nicht hier ist?«, wiederholte Jan. »Was ist mit dem Keller? Oder dem Obergeschoss?«
Sie schüttelte den Kopf. »Seit Sie weg sind, habe ich hier im Dunkeln gesessen und die Wand angestarrt. Glauben Sie mir – ich hätte ihn gehört«, sagte sie resigniert. »Er ist weg. Wohin auch immer.«
»Aber Sie müssen doch irgendeine Idee haben, wo ich ihn finden könnte?«
Ava Bjely sah mit leerem Blick in die Nacht. Ihr sonst so aufrechter Rücken war gebeugt. Sie schien förmlich in sich zusammenzufallen. Drückende Stille breitete sich aus.
»Ist das wirklich alles, was Ihnen dazu einfällt?« Jan wurde wütend. »Sie geben einfach auf?«
»Sie haben ja nicht die geringste Ahnung«, erwiderte sie müde.
»Davon, dass Sie Laura damals mit allen Mitteln abtreiben wollten? Oder dass Sie querschnittsgelähmt sind, weil Ihre Mutter im Streit handgreiflich wurde?«
Ava Bjelys Augen wurden schmal. »Mit wem haben Sie gesprochen?«, fragte sie heiser. »Mit meinem Mann?«
»Helfen Sie mir!«, drängte Jan. »Wenn Ihnen noch irgendetwas an Ihrer Tochter liegt, dann reden Sie endlich. Vielleicht erinnern Sie sich ja an irgendetwas, was mir helfen könnte, ihn zu finden.«
Ava Bjely seufzte und richtete sich in ihrem Stuhl auf. »Schieben Sie mich rein. Vielleicht haben Sie recht.«
»Aber ich warne Sie«, meinte Jan. »Ich hab es satt, von Ihnen immer nur Häppchen vorgesetzt zu bekommen.«
»Schieben Sie schon. So etwas bespricht man nicht bei offener Tür.«
Kurz darauf saßen sie sich am Esstisch gegenüber. Ava Bjely legte den Revolver vor sich auf die Holzplatte. »Vielleicht sollte ich mit meinem richtigen Namen anfangen. Ich wurde als Jenny Ava Stelzer geboren, das hier ist mein Elternhaus.«
Kapitel 49
Berlin, 22. Oktober, 02:38 Uhr
Laura spürte den Luftzug im Nacken, als sich hinter ihr die Haustür schloss.
»Willkommen.« Er nahm die Decke von ihren Schultern, die ihre Fesseln verborgen hatte. Der Geruch ihrer verrußten Kleidung erinnerte sie an das brennende Herrenhaus und Jan, der an den Stuhl gefesselt war und den Flammen ausgeliefert.
»Geh nur«, raunte er und stieß ihr zwei Finger ins Kreuz. »Immer geradeaus, an der Treppe vorbei. Ich will dir jemanden vorstellen.«
Laura stolperte in den länglichen Hausflur. Das Klebeband um ihre Beine ließ ihr gerade so viel Spiel, dass sie sich langsam vorwärtsbewegen konnte. Links neben ihr führte eine frei im Raum schwebende Holztreppe ins Obergeschoss. Parallel dazu lief der Flur auf eine große Tür mit Kassettenscheiben zu.
»Siehst du das?«, flüsterte er ihr von
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