Der Schock: Psychothriller (German Edition)
bloß nicht noch näher.
Der Tätowierte brachte seinen Mund an ihr Ohr. Sie roch säuerlichen Schweiß an seinem Hals, sah seinen blütenweißen Hemdkragen. »Sei ehrlich«, hauchte er. »Du wirst ihn mir sowieso sagen, früher oder später.« Seine Stimme drang wie Rauch in ihr Ohr. »Aber da ist noch dieser innere Widerstand, nicht wahr? Gegen den kämpfst du an. Du glaubst, das bist du ihm schuldig. Du glaubst, dass du ihn nicht verraten darfst, ohne gelitten zu haben. Nur wenn du gelitten hast, wirst du dir selbst verzeihen können. Aber vielleicht denkst du ja auch darüber nach, mir einen falschen Namen zu sagen. Dir irgendetwas auszudenken …«
Laura erschrak. Ihre Gedanken standen für einen Augenblick still.
Der Tätowierte lehnte sich zurück und las aufmerksam in ihrem Gesicht. »Seinen Namen«, insistierte er. Im selben Moment schnellte er wieder vor, packte den Stuhl mit beiden Händen an den Lehnen, dort wo ihre Arme auflagen. Sein Griff war so heftig, so ruckartig, dass der Stuhl sich trotz Lauras Gewicht hätte bewegen müssen. Doch er zitterte nicht einmal, offenbar war er im Boden verschraubt.
»Sag ihn mir, und ich lasse dich gehen!« Seine schwarze Nasenspitze berührte fast die ihre.
Laura spürte seine körperliche Nähe wie einen schmerzenden Strom. Ihre Nerven vibrierten. Am liebsten hätte sie ihn geschlagen, ihn weggestoßen. Und wenn nicht?, dachte sie wütend. Was, wenn ich ihn dir nicht sage? Würde das etwas ändern?
»Warum kämpfst du so?«, fragte er. »Etwa für ihn?«
Sie biss die Zähne aufeinander. Rück mir nicht so auf die Pelle, verdammt …
»Sagst du mir jetzt seinen Namen?«
Einen Scheißdreck tue ich, dachte sie und spuckte ihm ins Gesicht.
Er prallte zurück, blinzelte. Seine Augen loderten kalt.
Laura versuchte, sich zu wappnen, für das, was jetzt kommen würde.
»Glaubst du, du hast gewonnen?« Seiner Stimme war deutlich anzuhören, wie schwer es ihm fiel, sich zu beherrschen. »Dann hör mir jetzt gut zu. Sein Name – dieser Name, den du mir ums Verrecken nicht sagen willst – ist Jan!«
Stille.
Einen Moment lang glaubte Laura, sich verhört zu haben. Hatte er tatsächlich Jan gesagt?
Auf seinem Gesicht lag ein triumphierendes Lächeln. »Und der Nachname auf der Klingel von diesem Haus in diesem französischen Kaff, das ist seiner, oder? Floss! « Er machte eine Pause, genoss Lauras Verwirrung. »Gehört das Haus ihm? Oder seinen Eltern? Eher seinen Eltern, richtig?«
Laura antwortete nicht.
»Du und ich«, sagte er leise, »wir teilen ein Geheimnis. Wusstest du das?«
Hätte sie den Kopf schütteln können, sie hätte es getan.
»Erinnerst du dich an die Nacht im Wald von Nordholm? Du warst fünfzehn damals.«
Laura erstarrte.
»Erinnerst du dich?«
Was für eine Frage. Natürlich tat sie das. Diese Nacht war grauenvoll gewesen. In ihren Alpträumen rannte sie immer noch durch den Wald von Nordholm. Nur wie konnte er davon wissen? Das war unmöglich. Vollkommen unmöglich!
Sie starrte ihn an.
Er lächelte zurück.
»Du bist nicht schuld daran«, sagte er.
Sie blinzelte, musste schlucken. Sie weigerte sich, das alles zu glauben.
Der Tätowierte machte einen Schritt zurück. Eines der Spotlights streifte seine blanke Kopfhaut. Ein brennender Fleck glitt über seine Stirn und ließ einen Moment seine Augen rot leuchten, bevor er sie zusammenkniff und aus dem Licht trat.
Niemand hat rote Augen, dachte Laura wieder. Das gibt es einfach nicht!
Plötzlich hörte sie ein leises, dumpfes Geräusch, als würde Metall gegen Stein schlagen. Und dann noch einmal. Und wieder und wieder. Ihr Blick flog nach rechts, von wo die Geräusche kamen. Doch da war nichts außer der Wand und den darin schwebenden Frauen.
Der Tätowierte stand regungslos da, seine Augen waren auf Laura gerichtet, doch sein Blick war leer, abwesend, als fordere etwas seine ganze Konzentration.
Zwischen den dumpfen Schlägen glaubte Laura noch andere Geräusche zu hören, eine Art Rasseln und etwas Helles, Klagendes, wie eine Stimme. Eine Frauenstimme.
Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter. Irgendwo hinter dieser Wand war eine Frau. Eine lebendige Frau.
Der Tätowierte griff in seine Hosentasche, zog einen Blister mit weißen Tabletten hervor, drückte drei heraus und hielt eine davon direkt vor Lauras Lippen.
»Was ist das?«
»Eine Vorsichtsmaßnahme.«
Sie presste ihre Lippen und Zähne so fest aufeinander, dass es schmerzte. Wieder hörte sie die
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