Der Schock: Psychothriller (German Edition)
Er hatte keine Ahnung, wer zum Teufel er war. Die Erregung packte ihn wie eine Kernschmelze. Er nahm sie ein zweites Mal, die Hände um ihren Hals. Endlich einmal hatte er die Macht. Die Macht, Jenny zu beherrschen. Die Macht, über sich selbst zu herrschen. Und zugleich vollkommen aus sich herauszutreten.
Es dauerte nur wenig länger als beim ersten Mal, so schien es ihm wenigstens. Als es vorbei war, richtete er sich auf – und erstarrte.
Jenny bewegte sich nicht.
Warum zum Teufel bewegte sie sich nicht?
Er stand auf und sah sie an.
War sie ohnmächtig?
War sie die ganze Zeit schon ohnmächtig gewesen?
Die Ohnmacht gab ihr eine bezaubernde Schönheit. Auf dem dunklen Holzfußboden sah ihr Leib aus wie frisch gefallener Schnee, in dem man bis zum Hals hätte versinken mögen.
War sie etwa …?
Nein. Das konnte nicht sein. Das hätte er doch bemerken müssen. Irgendetwas musste man doch merken, wenn jemand …
Er sah auf sie hinab, und die Vorstellung bekam etwas Ungeheuerliches, etwas so Großes und Machtvolles, dass ihm schlecht wurde, wie von einer Droge, nach der der Körper schreit, aber an die er sich erst gewöhnen muss.
Langsam ging er rückwärts zur Tür. Schloss die Hose. Raus hier. Das warst nicht du. Das war nicht Froggy. Das war jemand anders.
Aber wer zum Teufel?
Er floh wie im Rausch aus dem Zimmer. Er hatte Angst, als er die Treppe ins Erdgeschoss hinabstieg. Aber niemand erkannte ihn. Froggy war nicht da. Er war unsichtbar.
Er verließ die Villa und die Straße, in der Stelzers Protzkasten stand, und schwor sich in der Dunkelheit, dass er sich nie wieder waschen würde. Er wollte ihren Geschmack für alle Ewigkeit an sich tragen. Und er wollte für alle Ewigkeit unsichtbar sein.
Zum ersten Mal in seinem Leben war sein Traum in Erfüllung gegangen.
Endlich bin ich frei, hatte er damals gedacht.
Und jetzt?
Jetzt saß plötzlich Laura auf der anderen Seite der Tür.
Er musste daran denken, wie er sie zwei Tage zuvor beobachtet hatte, vor dem Haus bei Èze. Wie sie diesen Typen geküsst hatte.
Geküsst?
Nein. Das war mehr als ein Kuss gewesen. Auch Jenny hatte immer wieder andere geküsst, und es hatte ihn rasend gemacht. Doch das mit Laura war noch etwas ganz anderes. Es fraß ihn förmlich auf, dass dieser Typ von ihr Besitz ergriff.
Er musste wissen, wo Laura stand.
Er drehte sich auf dem Absatz um. Seine weißen Schuhe knirschten auf dem Steinboden. Türklinke, Licht an, Puls runter.
Da saß sie, mit blinzelnden Lidern, an den Stuhl fixiert.
Langsam ging er auf sie zu.
Er wusste jetzt, was er tun musste. Endlich wieder ein klares Ziel. So klar wie schon seit vielen Jahren nicht mehr.
Nein, es war mehr als ein Ziel.
Es war eine Mission .
Er beugte sich zu ihr hinab.
Er lächelte. Öffnete den Mund.
Kapitel 8
Berlin, 18. Oktober, 10:39 Uhr
Laura schloss die Augen, als er näher kam. Das war das Einzige, was sie tun konnte, um sich zu verweigern. Sein Atem strich heiß über ihr Gesicht. Ihre Lider flatterten, und alles in ihr zog sich zusammen.
»Wie heißt er?«, flüsterte er.
»W … was?« Sie öffnete die Augen, verstand den Sinn der Frage nicht.
»Ich kann nichts für dich tun, wenn du mir nicht sagst, wie er heißt.« Er rückte noch näher heran, artikulierte jeden Laut seltsam überdeutlich. »Sag mir, wie er heißt, ich kann dich beschützen.«
Laura starrte ihn an. Das war verrückt. Vollkommen verrückt.
»Ich habe euch vor dem Haus gesehen, vorgestern Nacht.«
Jan! Er meinte den Abend mit Jan. Wie lange beobachtete er sie schon? Was wusste er noch alles über sie?
»Den Namen.« Er hob die rechte Hand, strich mit dem Finger über ihre Wange.
»Du kannst mir vertrauen. Sag mir nur seinen Namen.«
»Warum?«, flüsterte Laura.
»Ich muss die Dinge in Ordnung bringen. Dafür brauche ich deine Hilfe.«
In Ordnung bringen? Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Wütend presste sie ihre Lippen aufeinander.
»Verrat ihn mir«, rollte seine Stimme. »Verrat ihn, und ich lasse dich gehen.«
Ihr wurde schwindelig vor Hoffnung. Dennoch wollte sie sich eher die Zunge abbeißen, als Jans Namen preiszugeben. Es musste noch einen anderen Weg geben. »Was wollen Sie von ihm?«
Er sagte nichts. Lächelte nur.
»Sag mir seinen Namen, und du kannst gehen.«
Gehen. Das Wort war in ihrem Kopf wie eine Droge. Ihr Blick huschte über die Frauen in den Wänden.
Der Mann beugte sich weiter vor.
O Gott, nicht noch näher, dachte Laura. Komm mir
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