Der Schockwellenreiter
sich an meine unterste Schwelle vorzutasten. Sie möchten nicht, daß ich wieder in den Zustand der Leistungsfähigkeit gerate. Sie glauben, daß ich, selbst so, festgesteckt wie ein Schmetterling auf einem Brett, noch gefährlich sein könnte.«
»Ich pflege meine Mitmenschen niemals für gefährlich zu halten. Ich unterstelle lediglich, daß sie zu gefährlichen Fehlern imstande sind.«
»Schließen Sie sich dabei ein?«
»Ich bin vor dieser Möglichkeit ständig auf der Hut.«
»Eine solche Vorsicht erzeugt anomales Verhalten.«
»Wieso sagen ausgerechnet Sie das? Solange Sie stets auf der Hut waren, haben wir Sie nicht geschnappt. In Anbetracht Ihrer Absichten war das nicht anomal, sondern zweckmäßig. Letztendlich jedoch. Nun ja, jetzt sind Sie hier.«
»Jawohl, ich bin hier. Und habe eine Lektion gelernt, die zu lernen Sie unfähig sind.«
»Das wird Ihnen aber viel nützen.« Freeman lehnte sich zurück. »Wissen Sie, gestern abend habe ich mir Gedanken über einen neuen Weg des Herangehens gemacht. ein neues Argument, das Ihre Halsstarrigkeit vielleicht durchbrechen kann. Überlegen Sie sich einmal folgendes: Sie reden von uns im Tarnover, als befaßten wir uns mit einem brutalen, willkürlichen Versuch, dafür zu sorgen, daß die besten Köpfe der heutigen Generation unfehlbar in den Dienst der Regierung gestellt werden. Aber so ist es doch ganz und gar nicht. Wir sind einfach der oberste Ausläufer einer Reihe von subkulturellen Gruppierungen, die sich während der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus eigenem Antrieb entwickelten. Wenige von uns sind heutzutage dazu in der Lage, die Komplexität und verwirrende Vielfalt unserer Existenz im 21. Jahrhundert zu verkraften. Wir ziehen es vor, uns mit kleinen, leicht abkapselbaren Bruchteilen der Gesamtkultur zu identifizieren. Aber so wie manche Leute eben nur eine begrenzte Vielzahl von Reizen zu ertragen vermögen und sich deshalb in ein Nest in den Bergen oder eine Pauschalzone zurückziehen oder sogar in ein unterentwickeltes Land emigrieren, so gibt es andererseits Menschen, die mit der alltäglichen Reizflut nicht bloß glänzend fertigwerden, sondern gar extrem starke Stimuli brauchen, um ihre Bestleistung entfalten zu können. Heute haben wir eine viel breitere Auswahl von Lebensstil-Arten als jemals zuvor. Die Frage der Regierbarkeit stellt sich heutzutage unendlich schwieriger, genau weil wir ein solches Spektrum von Möglichkeiten haben. Wer kann eine solche Multi-plex-Gesellschaft verwalten? Muß da nicht zwangsläufig das Pendel zugunsten jener ausschlagen, die erst so richtig aufblühen, wenn sich die Situation verkompliziert? Oder hätten Sie's lieber, daß Leute, die erwiesener -, da offenkundigerweise dazu unfähig sind, ihr eigenes Leben zu regeln, die Angelegenheiten ihrer Mitbürger in die Hände nehmen?«
»Ein herkömmliches elitäres Argument. Von Ihnen habe ich mehr erwartet.«
»Elitär? Unfug. Ich habe mehr von Ihnen erwartet. >Ästhe-tisch< müßte es lauten. Eine Oligarchie, die aus simpler persönlicher Neigung nach der größtmöglichen Vervollkommnung in der Kunst des Regierens trachtet - das ist es, worauf wir abzielen. Und das wäre doch ein gutes System, oder finden Sie das nicht?«
»Vorausgesetzt, man zählt zu dieser Oberschicht. Können Sie's sich vor stellen, den unteren Rängen anzugehören, eine Person zu sein, die gehorcht, statt Anweisungen zu erteilen?«
»O ja! Deshalb arbeite ich ja im Tarnover. Ich hoffe, daß möglichst noch zu meinen Lebzeiten Leute auf der Bildfläche erscheinen, die in der Handhabung der modernen Gesellschaft so kunstfertig sind, daß ich und meinesgleichen ihnen mit gutem Gewissen den Weg freimachen können. In gewissem Sinne möchte ich mich also schnellstmöglich um meinen eigenen Posten bringen.«
»Sie wollen die Macht an verkrüppelte Kinder abgeben?«
Freeman seufzte. »Ach, Sie sind besessen von diesen laborerzeugten Kindern! Vielleicht kann es Sie beruhigen, wenn ich Ihnen verrate, daß die Kinder der letzten Gruppe - sechs Stück - körperlich in einwandfreiem Gesundheitszustand sind, sie laufen und springen, essen selbst und kleiden sich allein an. Würden sie Ihnen zufällig über den Weg laufen, Sie könnten sie von den normalen Kindern nicht unterscheiden.«
»Warum erzählen Sie mir dann überhaupt von ihnen? Ich weiß dadurch nur eines: daß sie wie normale Kinder aussehen mögen, aber niemals normale Kinder sein werden.«
»Sie besitzen ein ausgeprägtes
Weitere Kostenlose Bücher