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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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geschriebene Geschichte vertieft, während er abgewartet hätte, um zu sehen, ob das Mittagessen rechtzeitig serviert werden würde. Aber andererseits … die Stimmen im Luftschacht. Selbst das beste Buch seines Lieblingsautors hätte ihn nicht von diesen Rufen um Hilfe und Erbarmen ablenken können.
    Wenn ihm die Krankenschwester absichtlich das falsche Medikament gegeben hatte, konnte sich Bryce nur einen einzigen Grund dafür vorstellen. Die Kapsel in dem Pappschälchen musste ein Sedativum sein. Sie ärgerte sich über ihn, weil er Unzufriedenheit über seine Behandlung geäußert hatte, und sie wollte ihn entweder gefügig machen oder ihn in den Tiefschlaf versetzen.
    Seiner Erfahrung nach hätte keine professionelle Krankenschwester so etwas getan. Das Memorial Hospital in Rainbow Falls galt zwar keinesfalls als eine Fünf-Sterne-Einrichtung, aber es war auch kein Krankenhaus in der Dritten Welt. Als Rennie, seine Frau, krank gewesen war, hatte sich das gesamte Personal als kompetent, freundlich, entgegenkommend und hilfsbereit erwiesen.
    Statt die Kapsel zu schlucken, steckte er sie in die Tasche seiner Schlafanzugjacke.
    Im Zimmer wurde es dunkler, als zunehmend bösartiger wirkende Wolken die Sonne überwucherten.
    Bryce schwankte zwischen Sorge und Leugnen.
    Vielleicht war, was ihm wirklich große Sorgen bereitete und ihn tiefer getroffen hatte, als ihm klar war, die Erinnerung an den Schmerz in seiner Brust, der ihn überhaupt erst hierhergeführt hatte. Ein alter Mann, der sich seiner Sterblichkeit allzu deutlich bewusst war und dem vor dem Tod graute, der sich aber als Macho seine Angst nicht eingestehen wollte, könnte sich von seinem mangelnden Mut ablenken, indem er sich mysteriöse Feinde und Verschwörungen einbildete. Das ganz gewöhnliche Zischen und Pfeifen der Luft, die sich durch Gitter und Rohrleitungen bewegte, konnte bei einem Mann, der durch eine flüchtige Begegnung mit dem Tod ohnehin schon erschüttert war, akustische Halluzinationen hervorrufen.
    Und das bedeutete echte Probleme.
    Bryce hatte keine übermäßige Angst vor dem Sterben. Tatsächlich fürchtete er sich so gut wie gar nicht davor. Der Tod war nichts weiter als eine Tür, durch die er gehen musste, um wieder bei Rennie zu sein.
    Er versuchte sich auszureden, dass er der Sache nachgehen und Erklärungen für das eigentümliche Benehmen des Krankenhauspersonals und die Stimmen in dem Abluftschacht finden musste. Auch wenn ihm nicht allzu wohl dabei zumute war, musste sich Bryce offen eingestehen, dass ihm seit Rennies Ableben jede Eigeninitiative abhandengekommen war und er nur noch auf die Umstände reagierte. Er hatte sein Leben nicht wirklich abgeschrieben, aber er hatte einem Hang zur Passivität nachgegeben, den er bei einem seiner heroischen Marshals oder entschlossenen Rancher, den Protagonisten der Romane, die er schrieb, niemals geduldet hätte.
    Bryce widerte sich nicht direkt an, sondern war nur verärgert über sich, als er die Bettdecke von sich warf, aufstand und in seine Pantoffeln schlüpfte. Aus seinem Kleiderschrank zog er den dünnen Morgenmantel, den das Krankenhaus zur Verfügung stellte, und zog ihn über seinen Schlafanzug.
    Im Hauptflur der oberen Etage saß Doris Makepeace, die Oberschwester der Schicht, allein im Stationszimmer. Bryce hatte die fürsorgliche Schwester von Rennies letztem Krankenhausaufenthalt in guter Erinnerung.
    Schwester Makepeace schien in Gedanken verloren zu sein; sie starrte die Wanduhr auf der anderen Seite des Flurs an.
    Bryce konnte sich nicht erinnern, jemals erlebt zu haben, dass eine Oberschwester oder eine der anderen Krankenschwestern im Stationszimmer, die sich um sämtliche Patienten auf dieser Etage kümmerten, untätig dasaß. Krankenschwestern hatten immer mehr Arbeit, als sie mühelos bewältigen konnten.
    Doris war ganz besonders fleißig gewesen – emsig und betriebsam, lebhaft, engagiert und gewissenhaft. Jetzt wirkte sie teilnahmslos und sogar gelangweilt. Entweder sie hoffte, die Uhrzeiger würden sich schneller voranbewegen, wenn sie sie anstarrte, oder ihre Gedanken hatten sie so weit von dem Krankenhaus fortgetragen, dass sie die Wanduhr überhaupt nicht sah.
    Aber auch das konnte reine Einbildung sein. Jeder hatte es nötig, während eines arbeitsreichen Tages ab und zu für ein paar Minuten in Gedanken abzuschweifen.
    Als Bryce an ihr vorbeiging, regte sich Doris Makepeace und tauchte weit genug aus ihrer Trance auf, um zu sagen: »Haben Sie was

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