Der Schoepfer
Zeitung zu verhöhnen. Ein Umschlag ohne Fenster, die Schrift des Absenders war hübsch und feminin.
Sveinn wischte den gröbsten Dreck von der Zeitung und blätterte sie durch, während er den Kaffee austrank und das Fladenbrot aufaß.
Der Umschlag lag unangetastet neben dem Kaffeebereiter, ein weißes Rechteck, das jemand zugeklebt und beschriftet hatte. Doch, natürlich war er neugierig, aber auch beunruhigt. Unsicher, ob er in der Stimmung für unvorhergesehene Vorkommnisse war, außerdem hatte er das Gefühl, dass sein friedliches Leben im letzten halben Jahr auf mysteriöse, schicksalhafte Weise obsolet geworden sei. Wie eine gestürmte Festung, von Zeit und Verwahrlosung gebeutelt.
Schließlich schob er eine Messerspitze unter die Lasche, schnitt den Umschlag auf und zog eine kleine Karte mit einem aufgeklebten Zeitungsausschnitt heraus.
Es war eine Todesanzeige. Mit dem Foto eines Mannes zwischen sechzig und siebzig, über seinem Kopf ein kleines schwarzes Kreuz. Unter dem Bild stand:
Unser geliebter Vater und Bruder, Hans Sigurjónsson aus Hlíd im Svarfadardalur, starb am ersten Mai im Kreise seiner Familie. Das Begräbnis findet auf Wunsch des Verstorbenen in aller Stille statt. Wer sein Beileid bekunden möchte, sei an die Kollekte des Roten Kreuzes verwiesen.
Sveinn legte die Karte weg, davon überzeugt, dass das der Typ war, der seinem Leben mit einem alten Schafsgewehr ein Ende gesetzt hatte. Wahrscheinlich ein Bauer oder ein ehemaliger Bauer. Das war aus dem Zeitungsartikel, der weder Name noch Foto enthalten hatte, nicht hervorgegangen. Das entsprach natürlich den selbst gesetzten moralischen Regeln der Zeitung, die Toten zu schützen und die Lebenden zu verleumden.
Aber Moment mal. Wurden solche Anzeigen normalerweise nicht unterschrieben? Sveinn schaute wieder auf die Karte. Die Namen der Angehörigen waren abgeschnitten worden – offenbar war der Absender einer von ihnen. Die Schwester? Die Tochter?
In einer Ecke der Küche lag ein Stapel alter Zeitungen, und obwohl Sveinn der Meinung war, dass es am besten wäre, nichts zu unternehmen – er musste die Sache einfach aus dem Kopf kriegen –, konnte er sich nicht beherrschen, hastig ein paar Zeitungen durchzublättern und die Todesanzeige zu suchen.
Er fand sie nicht, wahrscheinlich lag die Zeitung schon im Müll. Er legte immer ein paar alte Zeitungen unter den Bottich, in dem er die Silikonmischung anrührte, und warf sie später weg, wenn der Bottich leer war.
Sveinn betastete die Karte, handelsüblicher weißer Karton mit dem ungeheuer penibel aufgeklebten Ausschnitt, drehte sie halb um und sah jetzt, dass auf der Rückseite ein Computerausdruck klebte. Seine eigene Todesanzeige mit seinem Foto aus dem Zeitungsartikel und anstelle des Kreuzes ein Pentagramm.
Unser Schöpfer und Vater in Sünde, Sveinn Gudmundsson , verstarb unerwartet am Freitag, dem dreizehnten Juni, im Kreise seiner Familie.
Die unschuldigen Püppchen
Sveinn stand schwerfällig auf, streckte sich, holte tief Luft und versuchte, die Angst und den Lebensüberdruss wegzuatmen. Schleuderte die Karte in den Mülleimer, besann sich dann aber, fischte sie wieder heraus und legte sie in eine Schublade mit Schraubenziehern, Zangen und Sechskantschlüsseln.
Er nahm sich vor, nicht weiter an die indirekte Morddrohung dieser kranken Person zu denken, machte den Kopf frei und schlenderte in den Flur. Seine Beine trugen ihn automatisch zur Werkstatt.
In der letzten Zeit hatte er öfter merkwürdige Anrufe bekommen und eine innere Kälte verspürt, wenn er der aggressionsgeladenen Stille im Hörer lauschte. Und jetzt hatte er wirklich das Gefühl, verfolgt zu werden.
Vielleicht würde es ihm trotz allem gut tun, am Abend mit Kjartan ein paar Bier zu trinken. Der Alkohol würde ihm helfen, sich zu entspannen. Manchmal machte er sich Sorgen, weil er immer, wenn er nicht in seine Arbeit vertieft war, vor Unruhe fast zitterte und weil er es so sehr genoss, wenn sein Kopf bei voller Konzentration ganz leer war.
Ingunn, die Frau, mit der er eine Beziehung gehabt hatte, hatte ihn vor anderthalb Jahren mit den Worten verlassen, es gebe viele Arten von Fremdgehen – und Arbeitssucht sei eine davon.
Er hatte sie gefragt, ob es daran läge, dass es sich um diese Arbeit und nicht um irgendeine andere handele, ob sie die Beziehung auch beenden würde, wenn er behinderte Kinder unterrichten oder mit Aktien handeln würde.
Sie hatte geantwortet, das würde verdammt
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