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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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noch mal nichts ändern. Sie hätte einfach keine Lust mehr mitanzusehen, wie er sich quäle, wenn er sich gezwungen fühlte, Zeit mit ihr zu verbringen oder mit ihr zu reden.
    Er hatte ihr geglaubt, zumal sie nie ein Zeichen von Eifersucht gezeigt hatte, obwohl er den ganzen Tag mit perfekten Frauenkörpern aus Plastik verbrachte. Vielleicht tat sie nur so, als mache ihr das nichts aus, und versteckte ihre Verletztheit vor ihm. Er hätte ihr vielleicht nicht so vorbehaltlos glauben sollen. Was hatte sie sonst noch vor ihm versteckt?

    Es stimmte nämlich nicht, dass das Zusammensein mit ihr eine einzige Qual für ihn gewesen war. Er hätte keine andere Frau lieben können. Er wollte ihr vorschlagen zusammenzuziehen und ihr versprechen, dass er es nicht zulassen würde, dass die Arbeit ihr Leben zerstören würde. Aber sie war realistischer gewesen und hatte sofort gewusst, dass er unfähig war, ein solches Versprechen zu halten.
    Vielleicht brauchte er eine Frau, die ihn mit all seinen Ecken und Kanten akzeptierte und sogar sein Interesse für das Puppenmachen teilte. Eine Gefährtin in Sünde , die abends mit ihm im Lichtkegel einer starken Arbeitslampe sitzen und Kleider nähen, Nägel lackieren, Perücken befestigen würde. Die ihn mit einem gütigen Lächeln und gut gewählten Worten besänftigen würde, wenn er ausgelaugt und verletzlich war. Eine Frau, die vollkommen verstand, dass eine Frau etwas ganz anderes war als eine Puppe und jeglicher Vergleich unsinnig. Ein Mann verglich sich ja auch nicht mit der heldenhaften Statue eines Geächteten, der mit seiner Familie und all seinen weltlichen Besitztümern auf dem Rücken umherzog, und bekam dabei Minderwertigkeitskomplexe.
    In jüngeren Jahren hatte er ziemlich viel Energie daran verschwendet, sich einzureden, er bräuchte keine Frau. Aber er hatte sich längst damit abgefunden, dass er nicht anders war als andere und dass der Mensch von seinen Bedürfnissen und Trieben gesteuert wird und nicht umgekehrt. »Das Alter foltert, quält und demütigt einen«, dachte er und lachte über diesen Gedanken – gerade mal vierzig und schon dabei, sich Gicht und einen Buckel einzubilden.
    Das Lachen lag immer noch auf seinen Lippen, ein halbes Lachen, das er oft in seiner Einsamkeit ausstieß, als er abrupt stehen blieb. Die Werkstatt war nicht so, wie er sie hinterlassen
hatte. Licht brannte, und überall lagen Styroporkügelchen herum, so als hätte jemand sie aus der Kiste der Schwarzhaarigen gekippt. Die Plastikplane lag nicht mehr auf dem Fußboden unter den aufgehängten Puppen. Eine böse Ahnung beschlich ihn, und obwohl er nicht glaubte, dass seine Vermutung begründet war, hielt er instinktiv die Luft an, als er zu der Kiste marschierte und den Deckel aufriss.
    Als er die fertige Puppe in die Kiste gelegt hatte, hatten die Styroporkugeln eine ziemlich glatte Oberfläche gebildet, wie der See Thingvallavatn an einem schönen Tag, aber jetzt sah er nur wogende Hügel und Mulden, und an einer Stelle schien der Boden der Kiste durch. Das Samtkästchen lag an seinem Platz, aber die Schwarzhaarige war verschwunden. Sveinn schaute sich hektisch um. Spähte in jede Ecke. Er war sich sicher, dass sie irgendwo sein musste, bekam aber ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken, dass jemand in seiner Werkstatt herumgeschnüffelt hatte, während er, sich in falscher Sicherheit wiegend, wie ein Baby geschlafen hatte.
    Nachdem er jeden Fleck im ganzen Haus abgesucht hatte, rannte er hinaus auf den Hof. Stellte sich an die Stelle, wo er gestern Abend gehockt und den Reifen gewechselt hatte, schirmte seine Augen gegen die Sonne ab und starrte auf die Straße, als erwarte er, der Dieb würde genau in diesem Moment mit der Schwarzhaarigen im Schlepptau am Horizont verschwinden.
    Im Kies unter seinen Füßen konnte er undeutliche Reifenspuren erkennen. Die Gute musste es wohl eilig gehabt haben, als sie losgefahren war, ohne sich von ihm zu verabschieden, ohne sich zu bedanken. Das war ja wohl keine Art – sich für einen Gefallen zu bedanken, indem man den wertvollsten Gegenstand im Haus stahl!
    Aber wie konnte er sich überhaupt sicher sein, dass sie es
gewesen war? Er vergaß oft, die Haustür abzuschließen, bevor er ins Bett ging, und alle wussten, dass sich in seiner Werkstatt einiges befand, das sich leicht zu Geld machen ließ.
    Nein, das wäre ein zu großer Zufall. Eine fremde Frau schlief in seinem Wohnzimmer ein, und am nächsten Tag war die Puppe verschwunden – die

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