Der Schoepfer
hätte.
»Das ist aber schön, meine Süße«, sagte Lóa. »Hat Margrét heute Mittag was gegessen?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Ína und strich sich eine bemalte Haarsträhne aus der Stirn. Ihr Gesicht wirkte angespannt – vielleicht fiel ihr plötzlich ein, dass sie versprochen hatte, sich die Farbe aus den Haaren zu waschen –, und sie fügte hastig hinzu: »Björg ist da.«
»Björg?«
»Ja, sie kocht.«
»Warum habt ihr mich denn nicht geweckt?«
»Björg hat gesagt, ich soll dich noch nicht wecken«, sagte Ína und betrachtete ergriffen ihr neues Kunstwerk. »Findest du es nicht toll, Mama?«
»Doch, es ist toll.«
»Hängst du es auf?«
»Wenn ich darf, mein Engelchen?«
Ína nickte. Ein tiefes Grübchen grub sich in ihre rundliche
Wange. Sie hatte nur auf einer Seite ein Grübchen, wie ihre Mutter.
»Dann hänge ich es auf«, sagte Lóa und stützte sich auf die Ellbogen. Sie war verblüfft, wie kurz der Abstand zwischen der Bewusstlosigkeit des Schlafs und jenem Zustand war, bei dem man sich in Gedanken an vielen Orten gleichzeitig befand und sich Sorgen über alles Mögliche machte. »Warum sind nie Leute auf deinen Bildern?«
»Da sind oft Leute drauf«, sagte Ína und wirkte enttäuscht. Die Kritik war ja auch ziemlich ungerecht – zu verlangen, dass ihr Bild etwas anderes zeigte, als es tat.
»Nur, wenn ich dich darum bitte, Leute zu malen«, entgegnete Lóa. »Aber ist auch egal. Mach mal Platz, ich muss aufstehen.«
Natürlich spielte es eine Rolle. Lóa war es nicht egal. Mädchen in Ínas Alter malten fast nur Menschen: sich selbst, ihre Familie, Prinzessinnen, Popstars und andere imaginäre Personen.
Lóa ging direkt ins Badezimmer, ohne Björg zu begrüßen. Sie musste erst richtig wach werden und zu sich kommen, bevor sie einem erwachsenen Menschen in die Augen schauen konnte. Bevor man von ihr verlangen konnte, etwas Vernünftiges zu sagen.
Lóa zitterte vor Anspannung. Nachmittagsanspannung im Bauch. Als sie sich das eingestanden hatte, weinte sie eine Weile unter der Dusche, und die Tränen vermischten sich mit dem nahezu kochend heißen Wasser.
Der Grund für ihre Tränen war der bohrende Gedanke an die Weinflasche, die im obersten Regal des Küchenschranks stand, neben Margréts verdammtem Proteinpulver, einem Pulver für kranke Kinder und alte Menschen, die keinen Lebenswillen mehr hatten.
Sie würde sich nicht beherrschen können, ein Glas zu trinken, obwohl Björg bei ihnen und Ína wach war und garantiert alles ihrem Vater erzählen würde.
Aber sie würde die Wirkung erst richtig spüren, wenn Ína im Bett war. Sie würde nicht laut werden und lallen – vier oder fünf Gläser reichten, um dieses Etwas einzulullen, wie auch immer man es nennen mochte. Es durfte nicht Trauer heißen, denn das wäre so, als hätte sie Margrét bereits aufgegeben.
»Wenn sie doch verdammt noch mal auf der Straße rumhängen und Drogen nehmen oder klauen würde, alles besser als diese Hölle«, zischte sie leise und bekam Tränen und heißes Wasser in die Kehle. Sie räusperte sich und versuchte, die Tränen zu stoppen. Schließlich konnte sie nicht ewig in diesem abgegrenzten Schutzraum bleiben, den das sandgestrahlte Glas der Duschkabine ihr bot.
Zum Glück hatte sie nur diese eine Flasche da, aber die wäre gegen Mitternacht leer, und morgen würde sie natürlich versuchen, irgendwo einen Alkoholladen zu finden, der sonntags geöffnet hatte.
Das war neu für sie. Früher hatte sie nur selten getrunken, nur, wenn man ihr Alkohol aufgenötigt hatte, meist bei irgendwelchen besonderen Anlässen. Kaum jemand würde behaupten, sie sei eine richtige Alkoholikerin, aber sie war auf bestem Wege, das zu werden, was man eine alte Schnapsdrossel nannte. Es wäre vielleicht in Ordnung, wenn sie Künstlerin oder eine begnadete Popsängerin wäre, aber das war sie nicht. Sie arbeitete in einer Werbeagentur und war alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Eineinhalb Kindern, besser gesagt. Sie musste funktionieren.
Lóa schämte sich ein bisschen für ihre Spießigkeit – Wert auf die Meinung anderer zu legen, wenn alles andere viel wichtiger
war. Aber was sollte sie machen? Sie war nun mal eine Spießerin. Eine alte Schnapsdrossel, die sich selbst bemitleidete und an die öffentliche Meinung dachte, während ihr Kind dem Tod nahe war.
Lóa drehte den Hahn zu und lachte schnaubend bei dem Gedanken, dass man sie auf so schreckliche Weise beschreiben könnte.
Es war wichtig, über
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