Der Schoepfer
Mixer goss, eine Banane schälte und sich nach dem Proteinpulver reckte, das sie ganz hinten im obersten Regal im Schrank aufbewahrte, damit Ína es nicht fand.
Margréts Schweigen war eine einzige Qual. Sie beschwerte sich nicht mehr über den schlechten Geschmack, denn Lóa hatte ihr klargemacht, dass Jammern zwecklos war. Eine Vereinbarung
war eine Vereinbarung. Nun saß sie da und löffelte das Zeug, ganz langsam, mit bemitleidenswerter Märtyrermiene. Es spielte keine Rolle, wie lange sie die Sache hinauszögerte. Lóa ließ sie nicht aus dem Blick, drehte ihr nie den Rücken zu und ging nicht aus der Küche.
Die Ärztin, die Margrét aus dem Krankenhaus entlassen hatte, eine überlastete Frau mit kurzen Haaren und bis auf die Haut abgekauten Nägeln, hatte Lóa eingeschärft, Margrét beim Essen nicht aus den Augen zu lassen. Sie hatte immer weiter insistiert, bis Lóa die Geduld verloren und barsch gesagt hatte: »Glauben Sie etwa, ich wüsste das nicht?«
Dann hatten sie einander mit Blicken abgemessen, bis Lóa in den Augen der Ärztin einen Vorwurf gesehen und aufgegeben hatte. Sie hatte sich hastig verabschiedet und war zu Margrét geeilt, die auf ihrer Tasche beim Aufzug gesessen hatte. Immer wieder hatte sie auf den Aufzugknopf gedrückt, während Margrét sie unter ihren langen, stumpfen Ponyfransen nervös beobachtet hatte.
Es war eine einvernehmliche Entscheidung von Lóa, Margrét und der Ärztin gewesen, Margrét für die Abschlussprüfungen nach Hause zu lassen, aber Lóa fühlte sich oft so, als trage sie allein die Verantwortung dafür, und hatte große Angst, dass es ein Fehler gewesen sein könnte. Dass sie der Herausforderung nicht gewachsen wäre und dass sich Margréts Zustand in ihrer Obhut verschlechtern werde.
Margréts Notenspiegel war Lóa vollkommen egal, aber für Margrét war der Tod im Vergleich zu schlechten oder mittelmäßigen Noten anscheinend bedeutungslos.
Als Margrét ihr Glas leer getrunken hatte, spülte Lóa es aus, füllte es mit Wasser und legte zwei riesige Omega-Fettsäure-Tabletten
daneben. Margrét hatte Tränen in den Augen. »Ich schaffe das nicht«, jammerte sie. »Mein Bauch ist total voll. Da ist kein Platz mehr für Wasser.«
Lóa hatte Mitleid mit ihr, aber sie durfte keine Nachsicht zeigen. »Liebes«, sagte sie, und Wasser spritzte aus dem Glas, als sie es auf den Tisch knallte, »wir müssen aufpassen, dass dein Gehirn keinen Schaden nimmt. Wenn du durchhältst, musst du nur noch ein paar Tage ins Krankenhaus.«
»Ich kann die nicht schlucken.«
»Es ist kein Problem, sie runterzuschlucken, sie bleiben nicht im Hals stecken, auch wenn sie groß sind«, sagte Lóa. »Sieh mal, sie sind ganz glatt.«
»Ich hab jetzt keine Zeit, ich muss für die Prüfung lernen.«
»Dann beeil dich mit den Tabletten.«
Am Ende schleppte sich Margrét in ihr Zimmer, die Omega-Tabletten gründlich mit Wasser hinuntergespült, und Lóas Kater machte sich wieder bemerkbar. Sie konnte ihren Kopf vor Müdigkeit kaum hochhalten, und ihre Hals- und Schultermuskeln schmerzten.
Lóa machte sich nicht die Mühe, sich auszuziehen, bevor sie unter die Bettdecke kroch, zumal sie nicht vorhatte zu schlafen, sondern nur einen kurzen Moment die Augen zu schließen.
Sie wachte davon auf, dass Ína auf ihr herumkletterte, und als sie endlich die Augen aufbekam, merkte sie, dass sich das Licht verändert hatte, seit ihr dröhnender Kopf aufs Kissen gesunken war. Der Nachmittag war wie eine unsichtbare Lawine in den Morgen gestürzt. Lóas Haare klebten an ihrem verschwitzten Hals, sie war hungrig, und hinter jedem Gedanken lauerten fieberhafte Erinnerungen an die morgendlichen Ereignisse.
Plötzlich bekam sie Angst, Herzklopfen und einen trockenen
Mund, als würde sie von der Polizei, von Margréts Ärzten, dem blutrünstigen Puppenmacher und einem wütenden Mob mit Schusswaffen und Knüppeln verfolgt. Ein karminroter Dodge Ram raste über die blinden Hügel auf sie zu.
»Guck mal, was ich gemacht hab«, sagte Ína und hielt ihrer Mutter etwas vors Gesicht.
Lóa umfasste Ínas Hand, die einen A4-Pappkarton hielt, und schob sie ein Stück weg, bis sich ihre Augen einstellen konnten. Das Bild zeigte ein grünes Auto mit blauen Fenstern auf einer schwarzen Straße. Der Himmel bestand aus eingetrocknetem Leim, in dem Styroporkügelchen klebten, die einen Schneesturm darstellten, der ziemlich überzeugend gewesen wäre, wenn er bis auf das Auto und die Straße gereicht
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