Der Schoepfer
alles lachen zu können – vor allem über das Allerschlimmste. Das hatte sie von ihrer Mutter gelernt. Ihre Mutter hatte es all die Jahre immer wieder betont, trotz der ratlosen Blicke ihres Ehemanns, der zwar ein lieber Kerl und einigermaßen intelligent, aber merkwürdig humorlos war. Das war im Grunde die einzige entscheidende Einstellung ihrer Mutter – darüber hinaus war ihr Leben von gütiger Toleranz gekennzeichnet.
Was würde jetzt aus ihr werden, nachdem ihr Mann gestorben war? War es Lóas Aufgabe, ihr Leben in die Hand zu nehmen? Oder würde sie sich in eine selbstständige Macherin verwandeln? Sie war gerade mal sechzig, man konnte nie wissen, ob das Schicksal ihr nicht ein neues Leben zudachte. Aber das war nicht so wichtig. Wichtig war, dass sie weiterhin bei den unpassendsten Gelegenheiten lachte.
Wie zum Beispiel beim Trauermahl.
Lóa hatte sich im Badezimmer ihrer Eltern frisch gemacht und ihre Wimperntusche erneuert, die bei der Beerdigung verschmiert war. Da klopfte es ungeduldig an der Tür, und sie konnte gerade noch den Schlüssel rumdrehen, bevor ihre feuerrote Mutter hereinstürmte, auf den Badewannenrand sank, ein großes Handtuch an sich riss, es zusammenknüllte und sich vors Gesicht hielt.
Lóa dachte zuerst an einen Nervenzusammenbruch und
wollte Unterstützung holen, jemanden bitten, einen Krankenwagen zu rufen, aber ihre Mutter versperrte ihr den Weg und stöhnte am Ende, ihre Schwester Gugga hätte sie fest in den Arm genommen und mit Tränen in den Augen und inniger Anteilnahme versehentlich gesagt: »Herzlichen Glückwunsch.«
Lóa hatte einfach mit ihr gelacht, denn falls es sich tatsächlich um einen Nervenzusammenbruch handelte, war das die bestmögliche Reaktion.
Dann war sie rausgegangen und hatte Tante Gugga damit getröstet, dass sie die trauernde Witwe seit zwei Wochen zum ersten Mal zum Lachen gebracht hätte.
Lóa kämmte sich eilig, putzte sich die Zähne und die Zunge, trug Feuchtigkeitscreme und Deo auf und warf ihre Klamotten in den Wäschekorb – zerknittert und fleckig, nachdem sie nicht nur einmal, sondern zweimal darin geschlafen hatte. Wickelte sich in ein Handtuch und ging in die Küche.
»Oh la la«, sagte Björg und warf einen Blick auf Lóas nackte Beine. »Ich hoffe, du verlangst nicht, dass wir uns alle so fürs Essen stylen.«
»Du kannst gerne ein größeres Handtuch haben, wenn du zu prüde bist«, konterte Lóa und grinste zögernd die Tischplatte an. Sie sah sich selbst aufstehen, sich beiläufig nach der Flasche recken und damit kämpfen, sie zu öffnen, während sie versuchte, das Handtuch nicht über ihre Brüste rutschen zu lassen. Nein, das war zu kompliziert und zu früh. Zu verzweifelt.
»Ist die Bohnenstange in ihrem Zimmer?«, fragte Björg.
Lóa nickte. Ihr Hintern und ihre Oberschenkel klebten am Stuhlsitz, und kaltes Wasser tropfte aus ihren Haaren auf ihre Schultern. Sie spürte alles viel zu intensiv. Sie spürte sich selbst zu intensiv.
»Gulasch und Kartoffelpüree, das versetzt sie bestimmt in
gute Laune«, trällerte Björg, stieß den Kartoffelstampfer in den Topf und fügte hinzu: »Ína hat gesagt, du wärst die ganze Nacht weg gewesen.«
»Ach, hat sie das?«, fragte Lóa und versuchte, amüsiert zu klingen.
»Ich hoffe, du hast was Spannendes gemacht.« Björg schlug den Kartoffelstampfer ein paar Mal energisch gegen den Topfrand. »Du gehst ja nie weg. Ich weiß überhaupt nicht, warum ich für dich einkaufe und Besorgungen mache. Es ist nicht gesund, immer nur zu Hause herumzuhängen.«
»Um Himmels willen, nimm doch nicht alles wörtlich, was Ína von sich gibt«, sagte Lóa. »Ich musste heute Morgen nur mal kurz weg, und die arme Ína war ein bisschen erschrocken, als sie aufgewacht ist und mich nicht gefunden hat.«
»Kurz weg? Wo muss man denn samstagmorgens kurz hin?«
»Manche gehen kurz zum Bäcker, andere besuchen ihre Oma oder gehen schwimmen.« Lóa konnte ihre Nervosität kaum verbergen. Sie würde nicht damit durchkommen, die Puppe unerwähnt zu lassen und so zu tun, als sei sie beim Bäcker gewesen. Ína würde diese Notlüge sofort richtigstellen. »Ich erzähle es dir gleich«, sagte sie und stand schwerfällig auf. »Ich muss mich erst anziehen.«
»Ja, das wird echt höchste Zeit«, entgegnete Björg. »Ich hab keinen Bock auf Schamhaare in der Soße.«
Lóa stand ziemlich lange vor dem Schrank und strich über die Kleidungsstücke, bevor sie einen limonengrünen Rock mit moosfarbenen
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