Der Schoepfer
Blumen herauszog. Der Schnitt stand ihr nicht, aber sie brauchte frische Farben. Auf dem Boden lag ein schwarzer Pulli, den sie nur einmal getragen hatte, aber sie zog ihn nicht an, schüttelte nur den imaginären Staub heraus und legte ihn über die Stuhllehne. Sie konnte sich nicht vorstellen,
etwas anzuziehen, das nicht frisch aus der Wäsche kam. Sauber und frisch, auf Leben und Tod. Sie brauchte einen Ausgleich. Für etwas Fauliges in ihr und das stärker werdende Gefühl, dass die Welt schmutzig war, dass der Schmutz der Welt ihr auflauerte – darauf lauerte, sich über sie, ihre Töchter und ihr Heim zu legen.
Sie war barfuß, denn es war warm in der Wohnung. Ína drehte immer die Heizungen auf, wenn niemand hinsah. Nicht, weil sie fror, sondern weil es ihr Sicherheit zu geben schien, wenn in der Wohnung eine tropische Hitze herrschte. Wenn sie in Unterwäsche oder im Nachthemd auf dem Fußboden liegen und Bilder von Schneestürmen malen konnte, die bullernd warme Heizung in Reichweite.
Lóa drehte die Heizung im Schlafzimmer runter und rief nach Ína, die mit lautem Klappern angelaufen kam, in Sandalen mit Absatz, die sie unbedingt im Hagkaup hatte haben müssen. Ihre Freundinnen besäßen auch solche Schuhe, und Lóa hatte es nicht übers Herz gebracht, sie ihr zu verbieten, auch wenn es für einen weichen Kinderrücken nicht gerade gesund war, so unnatürlich gekrümmt zu werden. Lóa verließ sich darauf, dass Ína es bald leid sein und wieder ihre bequemen, alten Turnschuhe herausholen würde.
»Waaaas ist?«, fragte Ína ungeduldig. Wahrscheinlich hatte sie Björg gerade in der Küche geholfen.
»Du kannst die Heizung in deinem Zimmer hochdrehen, aber nicht in meinem und nicht im Wohnzimmer, das habe ich dir schon hundertmal gesagt, hast du das verstanden?«
»Jaahaaa.«
»Wenn du willst, kannst du jetzt den Tisch decken.«
»Bin schon dabei.«
»Gut, mein Schatz, sehr fleißig«, sagte Lóa und legte ihren
Arm fest um Ínas runde, weiche Schulter, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel, der nach künstlichem Erdbeerduft roch. Von den Filzstiften. Ínas speziellen Duftfilzstiften – ein Geschenk ihres schuldgeplagten Vaters.
Ína entwand sich ihr und rannte los, und als Lóa in die Küche kam, kramte sie in der Besteckschublade herum. Björg hatte das Fenster weit geöffnet, saß auf der Küchenbank, lehnte sich wagemutig aus dem Fenster und rauchte. Einen Moment wirkte sie verunsichert, als sie Lóas Blick begegnete, aber Lóa warf ihr feuchtes Haar zurück und lachte inbrünstig – weil Björgs kleine Sünden ihre eigene Willensschwäche entschärften. Und Ína würde der Geruch einer Salem Light nicht schaden.
Lóa lehnte sich an den Kühlschrank, pulte den Aluminiumverschluss vom Flaschenhals und drehte den Korkenzieher in den Korken. Als der Wein ins Glas floss, krampfte sich ihr Magen zusammen, entspannte sich aber nach dem ersten Schluck ein wenig. Sie bemerkte, dass Björg die Flasche oder das Glas nie direkt anschaute.
Sie schwiegen beide, während Ína im Esszimmer mit dem Besteck klapperte. Der Zigarettenrauch kräuselte sich vor dem Fenster und wurde zu nichts, und Lóa versuchte, lautlos zu schlucken, was ihr nicht gelang. Der Wein schien sich dagegen zu wehren, auf derart verschämte Weise getrunken zu werden.
Ína lief zur Tür, hängte sich an den Türrahmen und verkündete, sie sei fertig mit Tischdecken.
»Das ist gut«, sagte Lóa geistesabwesend, während sie sich von Ína abwandte und die Päckchen im Karton zählte. Die Päckchen mit Proteinpulver. Es waren vier, genauso viele wie am Morgen. Margrét hatte nichts zu Mittag gegessen, aber sie hatte auch nicht versucht, es zu verheimlichen. Es wäre ein
leichtes Spiel für sie gewesen, das Pulver mit Wasser zu vermischen, es ins Spülbecken oder ins Klo zu schütten und das leere Päckchen ganz nach oben in den Mülleimer zu legen. Sie war also doch nicht so hinterlistig, wie die Ärztin behauptet hatte. Vielleicht ging es ihr ein bisschen besser. Ein winziges bisschen. Bitte, lieber Gott.
Lóa öffnete ein neues Päckchen mit Vanillegeschmack und mixte das Getränk, fügte aber keine Banane oder anderes Obst hinzu, damit Margrét keinen Vorwand hatte, sich zu weigern, es zum Essen zu trinken.
Natürlich hatte Lóa sich selbst zuzuschreiben, dass sie Margréts Essenszeit verschlafen hatte, aber Margrét sollte diese Nachlässigkeit teuer bezahlen. Normalerweise trank sie Wasser zum
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