Der Schoepfer
Gesellschaft. Die vielen Bilder an den Wänden, die
ihn inspirieren und an die Ehrenhaftigkeit des Handwerks erinnern sollten, der raue Boden mit den alten Ölflecken, das gnadenlose Arbeitslicht, das ihn von der Decke anstrahlte – und urplötzlich ergoss sich aus einer großen Giftschale, die sich ohne sein Wissen in seinem Kopf befand, Verachtung über ihn.
In diese Schale war jahrelang das Gift der Herablassung gegenüber seinen Kunden getropft. Er hatte sie stets als bemitleidenswerte Versager angesehen, denen er half. Deren Leben er erträglicher machte. Er ekelte sich vor sich selbst, weil er sich mit ihnen auf eine Stufe gestellt hatte.
Wann hatte er begonnen, sich einzureden, er sei etwas Besseres? Vielleicht hatte er es immer geglaubt, vielleicht hatte er es sich auch mit der Zeit angeeignet, um sich gegen die Vorurteile anderer zu schützen.
Die Kapitulation war fast friedlich, dafür dass sie unvermeidlich war, und er blieb eine Weile auf ihr liegen, den halbschlaffen Penis an ihrem weichen Oberschenkel, bevor er ins Lager ging und die Schnabeltasse holte, sie mit heißem Wasser und milder Seife füllte, das Gleitmittel aus der Puppe spülte und sie wieder zurück an ihren Platz hängte. Er versuchte, die Bettdecke so gut es ging auszuschütteln, aber der Schmutz war hartnäckig, und er musste erneut aufgeben, den Zipfel der Decke in den Mund nehmen und mit der unverletzten Hand den Bettbezug abziehen. Immer noch keuchend vor Anstrengung, schleppte er sich zurück ins Schlafzimmer, ließ den Bezug in den treulosen Wäschekorb fallen und legte sich ins Bett, die bloße Decke über den Kopf gezogen, so dass nur seine nackten Füße herausragten.
Der Schlaf kokettierte zwei, drei Ewigkeiten mit ihm, bevor er sich ihm hingab. Zweimal stand er auf, einmal um zu pinkeln, das zweite Mal, um Schmerztabletten und ein Glas Wasser
zu holen und das Handy auszuschalten, und dann schlief er den ganzen friedlichen Abend und die kurze, fast helle Nacht hindurch.
Er wachte von einem schreienden, grellen Stechen im Kopf und im Schulterblatt auf, und bevor er die Augen richtig öffnen konnte, verspürte er einen unerträglichen Überdruss. So konnte er nicht leben. Er musste rausgehen und etwas tun. Er hatte Sodbrennen und einen medizinischen Geschmack im Mund, sein Magen war wie mit einem Ledermesser ausgeschabt.
Die Kaffeemaschine setzte sich zischend und prustend in Gang, viel lauter als sonst, wie er fand. Gierig trank er eine halbe Tüte Milch, bevor er ins Bad ging, sich mit einem heißen Waschlappen den Schlaf aus dem Gesicht wischte, sich sorgfältig unter den Armen und zwischen den Beinen wusch und ein Hemd und seine weiteste Hose anzog, weil das mit einer Hand leichter war. Während er die Zeitungen durchblätterte, verschlang er vier Scheiben Toastbrot.
Tramol und mehr Kaffee. Er wartete auf eine Offenbarung oder zumindest auf irgendwelche inneren Anweisungen, wie man den Tag durchstehen sollte, ohne etwas tun zu können. Blätterte noch mal die Zeitungen durch, fand aber nichts, das seine Aufmerksamkeit fesselte.
Er betrachtete die Autoschlüssel, schaltete das Handy ein, steckte beides in seine Tasche und schlüpfte auf dem Weg zum Wagen in seine Schuhe. Vergaß den Zettel mit der Adresse, den Lárus ihm gegeben hatte. Aber das spielte ohnehin keine Rolle – er hatte sie im Kopf: Framnesvegur 19.
Der Wind ließ den Sonnenschein erzittern und schlug hart gegen den Wagen. Das gelbe, hohe Gras vom Vorjahr drückte sich ergeben am Straßenrand auf den Boden, so als vertrage es
die schneidende Helligkeit nicht, ebenso wie Sveinns empfindliche Augen. Er tastete im Handschuhfach nach seiner Sonnenbrille. Was hatte er nur damit gemacht?
Jedes Mal, wenn er den Fuß auf dem Gaspedal bewegte, tat sein Knie weh.
Kurz bevor er die Hauptstraße erreichte, schnitt ihm ein silbergrauer, sportlicher Hyundai den Weg ab, und Lárus sprang heraus. Vor Eifer knallte er fast mit dem Kopf gegen die Scheibe und fing an zu reden, bevor Sveinn sie heruntergekurbelt hatte. Bei dem Sturm konnte er ihn erst verstehen, als die Scheibe ganz unten war.
»… aber Sie sind nicht ans Telefon gegangen, deshalb bin hergekommen, um abzuchecken, ob Sie okay sind.«
»Aha.«
»Wo fahren Sie denn hin? Nehmen Sie keine Medikamente mehr? Soll ich Sie nicht lieber fahren? Ich habe bis morgen frei.«
»Ich fahre nicht weit«, antwortete Sveinn.
»Fahren Sie nach Reykjavík? Ich dachte vielleicht…« Lárus Augen flackerten in
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