Der Schoepfer
dass er nach Akranes gezogen war – jemand hatte ihm von einem geräumigen Haus erzählt, das leer stünde und für einen Spottpreis vermietet würde –, genauso, wie es purer Zufall gewesen war, dass er sich auf das Puppenmachen spezialisiert hatte. Es war wie eine Zweckehe: Mit der Zeit hatte er gelernt, die Rolle, die das Schicksal ihm zugeteilt hatte, zu lieben.
Er hatte sich gerade durch die Kunsthochschule gequält, voller Enttäuschung, dass seine drei Semester Ingenieurswissenschaften ihm nicht nützlicher waren. Er hatte gehofft, das Studium würde sich mehr um Methodik und Materialanwendung drehen als um versponnene Ideen.
Was andere als Ideengeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichneten, erschien ihm wie ein Beliebtheitswettbewerb der Schlaumeier. Jeder konnte sich hinsetzen und schlaue Ideen haben, oder nicht? Er hatte sich in diesem Studium nie zu Hause gefühlt. Wie zum Teufel hatte er es eigentlich geschafft, ihnen Sand in die Augen zu streuen, so dass sie ihn überhaupt angenommen hatten?
Sei’s drum. Durch die Bekanntschaft seiner damaligen Freundin mit Theaterleuten in Schweden hatte er Anleitungen und Material für seine erste Puppe bekommen – ein renaissancehaftes Pummelchen mit kupferroten Locken. Er hatte sich die ganzen Osterferien in Stockholm den Rücken krumm geschuftet, während seine Freundin mit den Theaterleuten durch Bars und Cafés gezogen war. Dieser Erstling wurde dann sein Abschlusswerk, und schon am ersten Ausstellungstag bekam er vier Angebote. Er war so gierig nach Geld und Anerkennung,
dass er sie alle annahm, und nachdem die Käufer einer Massenproduktion zugestimmt hatten, flog er zurück nach Schweden und fertigte neun weitere Puppen an, alle identisch, nummerierte ihre Fußsohlen, ließ für jede einzelne eine seriös formulierte Bescheinigung auf offiziellem Urkundenpapier anfertigen, die sie als eines von weltweit zehn Exemplaren auswies, und scheffelte jede Menge Geld, von dem er noch nicht einmal wusste, was er damit anfangen sollte. Er war der Einzige seines Jahrgangs, der mit seinem Abschlusswerk etwas verdiente.
Anschließend hatte er der Kunst mit selbstgefälliger Überheblichkeit den Rücken zugekehrt. Hatte diesen verwirrenden, schmierigen Tempel für immer verlassen. Die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen und seitdem jede Sekunde danach gestrebt, den biologischen Abfall von seinen Händen zu tilgen. Das war ihm ganz gut gelungen, außer im Moment, da er sich wie mit Schleim überzogen fühlte. Vielleicht, weil er seit Samstag nicht mehr geduscht hatte.
Er bog langsam in den Framnesvegur, suchte die Hausnummer neunzehn, parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite und blieb im Wagen sitzen, unentschlossen, was er als Nächstes tun sollte. War schon fast ausgestiegen, zögerte dann aber; der Wind konnte seine Haare nur kurz durcheinanderwirbeln, bevor er die Tür wieder zuzog. Er versuchte, sich die Begegnung auszumalen, konnte sich aber unmöglich vorstellen, wie Lóa reagieren würde, wenn sie ihn auf der Türschwelle sähe: ob sie ängstlich oder wütend werden oder vorgeben würde, ihn nicht zu kennen.
Ein paar Minuten vergingen, vielleicht eine Viertelstunde, bevor er sich anschickte, erneut auszusteigen, aber er hatte gerade den Fuß auf die Straße gesetzt, als die Tür von Nummer neunzehn aufging und Lóa herauskam, in einem fort nickend,
mit einem pummeligen kleinen Mädchen im Schlepptau, das ununterbrochen redete. Ein paar klingende Vokale drangen durch den Sturm und die Fensterscheibe, die sie voneinander trennte, an sein Ohr, und ihr lautloses Hüpfen und Springen wirkte aus seiner Perspektive surreal. Sie schien unerschöpfliche Energie zu haben, so als könnte sie jeden Moment abheben und ein paar Runden fliegen.
Lóa stieg ins Auto, schnallte sie beide an und fuhr los, ohne Sveinn zu bemerken. Er saß da und musste sich beherrschen, nicht den Kopf einzuziehen und sich unters Fenster zu ducken. Er wollte sich dieser plötzlichen, grundlosen Unsicherheit nicht gänzlich beugen.
Sveinn war erleichtert, sie wegfahren zu sehen. Es war ziemlich sinnlos anzuklopfen, wenn sie nicht zu Hause war. Aber das konnte er nicht als Vorwand benutzen, sich wieder auf den Heimweg zu machen – das wäre wie eine Flucht mit eingezogenem Schwanz und die Mühe vergeblich gewesen.
Was sollte er jetzt tun? Sich die Zeit in der Stadt vertreiben? Etwas kaufen?
Wenn er etwas kaufte, das nicht unbedingt notwendig war, bedauerte er es hinterher
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