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Der Schoepfer

Der Schoepfer

Titel: Der Schoepfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrún Eva Mínervudóttir
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immer und konnte den Gegenstand nicht leiden, fand ihn geschmacklos und vulgär – eine dumme Bestätigung des Produktionseifers der Menschen – und schämte sich dafür, wieder einmal in die Falle getappt zu sein, sich eingebildet zu haben, diese oder jene Unnötigkeit könne ihm eine Freude bereiten.
    Er hatte also keine andere Möglichkeit, als sich in ein Lokal zu setzen, Zeitung zu lesen und ein paar Tassen Kaffee zu trinken. Allerdings fühlte er sich dabei alles andere als wohl. Er hatte das Gefühl, man sah ihm an, dass er auf dem Land lebte und schon seit langem keine Kultur mehr genossen hatte.

    Vor dem Hótel Borg sah er sich auf einmal mit den Augen eines anderen aus dem Wagen steigen, einem relativ neuen amerikanischen Pick-up, der ihn ein Vermögen gekostet hatte – mehrere Vermögen, wenn man es genau nahm –, in einer alten Schlaghose und einem zu oft gewaschenen Wollpulli über dem Hemd, angeschlagen und mit schmutzigen Haaren. Da fiel ihm ein Gedicht über einen seiner Lehrer in der Kunst- und Handwerksschule ein, der nach einer Erbschaft geradewegs zum Autohändler gerannt war und sich einen nagelneuen BMW gekauft hatte.
    Er hat immer gegeizt
kein Geld fürs Café
jetzt kommt er geheizt
mit ’nem Beemwe
    Sveinn lachte innerlich, während er eine Hundertkronenmünze in den Schlitz an der Parkuhr steckte.
    Er setzte sich mit einem Stapel Zeitungen an einen gedeckten Tisch mit Aussicht auf den kleinen Platz, auf dem die Statue des unbekannten Beamten stand, konnte sich aber nicht aufs Lesen konzentrieren und versuchte stattdessen, sich Lóas Gesicht ins Gedächtnis zu rufen.
    Sie hatte schöne Hände und ein trauriges, aber bezauberndes Lächeln, das gut zum Schwung ihrer blonden, unschuldigen Locken passte. Ihre Figur erinnerte an Nummer sieben, außer, dass sie eine wesentlich breitere Taille hatte, und ihr bestimmter, aber flackernder Blick ließ darauf schließen, dass sie zwar resolut, aber manchmal unüberlegt impulsiv in ihren Handlungen war.
    Als er sie im Geiste auseinandergenommen und jedes Detail
analysiert hatte, sah er keinen Grund mehr für sein Zögern. Sie war auch nur ein Mensch. Eine Frau. Das schwache Geschlecht. Außerdem befand er sich voll und ganz im Recht, was man von ihr nicht behaupten konnte. Diebstahl war strafbar und Stalking ebenfalls, vor allem, wenn es mit direkten oder indirekten Drohungen verbunden war.
    Der Kellner, der ihm den Kaffee brachte, war so unpersönlich, dass er fast unsichtbar wirkte. Seine gesellschaftliche Maske musste dicker sein als bei anderen, oder er hatte keine Seele, war nur eine inhaltsleere Hülle.
    Es war eine abstoßende Art von Höflichkeit, fast brutal, fand Sveinn, der ganz im Gegenteil besonderen Wert darauf legte, seine Produkte so aussehen zu lassen, als hätten sie eine Seele – er tat sein Möglichstes, das Gefühl zu vermitteln, die Gesichter der Mädchen hätten etwas Lebendiges.
    Wie machte er das? Wie konnte man einen Zombie attraktiv machen?
    In erster Linie mussten die Augen groß sein, aber nicht zu groß – nicht so, dass sie an eine verängstigte Person in einem Horrorfilm erinnerten. In dieser Branche konnte man leicht Fehler machen und etwas anfertigen, das eher unheimlich als anziehend war.
    In diesem Zusammenhang war es auch wichtig, dass sie eher hübsch, als wirklich schön waren. Ein bisschen comichaft. Disney. Gesichter aus weichen Linien. Keine spitzen Schauspielerinnenwangenknochen.
    Aber das war alles nur nebensächlich im Vergleich zu dem militärischen Geheimnis, der geheimsten Zutat des Rezepts, dem, das alle wahrnahmen, aber niemand bemerkte. Eine geschickte optische Täuschung, die das Unterbewusstsein der Menschen direkt ansprach:

    Die Gesichter der Mädchen wirkten zwar völlig symmetrisch, waren es aber nicht. Wenn er die Gesichter modellierte, um dann Gipsabdrücke von ihnen zu nehmen, bemühte er sich, ihre Profile ein kleines bisschen ungleich, aber dennoch symmetrisch genug zu formen, dass man glaubte, menschengemachte Perfektion vor Augen zu haben. Und das war auf gewisse Weise auch der Fall. Perfektion war in der Regel tatsächlich menschengemacht, allerdings nicht in dem mechanischen Sinne, den sich die Leute vorstellten, wenn sie die Puppen betrachteten.
    In der Natur gab es nie einen perfekten Kreis, und menschliche Gesichter waren nie völlig symmetrisch. Bei Rechtshändern war der linke Arm etwas dünner als der rechte und die linke Hand zierlicher als die rechte, weil man die öfter

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