Der schottische Seelengefährte (German Edition)
Männer zeigten dem neugierigen kleinen Publikum, wie man den Bogen richtig spannte und schoss. Selbst die Kleinsten bekamen die Gelegenheit, auf hölzerne Wildschweine, Hasen oder Rehe zu schießen. An einem Stand konnte sie der Versuchung nicht widerstehen und erstand eine kleine Honigwabe. Genüsslich schleckend, verfolgte sie das wilde Treiben der Kinder, als plötzlich ein kleiner Junge sie von hinten umrannte. Ihre erst halb aufgegessene Honigwabe landete im hohen Bogen im Gras. In Erwartung einer Schimpftirade duckte sich der kleine Kerl erschrocken. „T'schuldigung.“
Doch Mary seufzte nur bedauernd.
„Macht nichts, so haben die Ameisen auch ihren Anteil am Fest und freuen sich über den Leckerbissen.“
Erleichtert zuckte der Rabauke noch einmal unbeholfen mit den Schultern und rannte dann wie der Teufel wild mit seinem Holzschwert schwingend seinen Kumpels hinterher.
Die Zeit verging wirklich wie im Flug, genau wie Susan vorhergesagt hatte. Nach einer ausgedehnten Runde, in der sie die unglaublichen Fähigkeiten eines Steinmetzes und eines Wollwebers bewundert hatte, setzte sie sich an den Rand. Die Dunkelheit hatte sich schleichend über die Burg gelegt und der Zeitpunkt, um die Feuerscheite anzuzünden, war gekommen. Gedankenverloren und fast hypnotisch starrte sie in die hellen Flammen und nahm weder die fröhliche Musik noch die lebhaften Tänze, die sich um das Feuer bewegten, wirklich wahr. Ein plötzliches Knacken und Zusammenfallen einiger Holzscheite brachte sie abrupt aus ihrer Gedankenwelt zurück. Leicht fröstelnd zog sie ihren Mantel enger um sich. Plötzlich fühlte sie sich inmitten dieser lauten, fröhlichen Menschenmenge sehr einsam und allein und betrachtete melancholisch die tanzenden Paare. Seufzend beschloss sie, sich wieder auf den Weg zu machen. Vorher musste sie nur noch den letztenOrt aufsuchen, den ihre Mutter ihr genannt hatte, dann hatte sie ihre Aufgabe hier erfüllt.
Vorsichtig balancierte Mary durch das Unterholz eines kleinen Wäldchens, welches sie auf dem Hinweg zur Burg nur aus der Ferne gesehen hatte. Laut ihrer Mutter war hier früher ein dichter Wald mit einem richtigen Trampelpfad gewesen und sie fragte sich beklommen, was sich noch alles in der Zwischenzeit verändert hatte. Zum wiederholten Male blieb sie stehen und befreite ihr Kleid aus Dornenzweigen, sie wollte doch Susan kein zerrissenes Kleid zurückgeben. Entschlossen krempelte sie das Kleid bis zur Hüfte hoch, so dass sie leichter vorwärtskam, denn an ihren dicken Jeans verfing sich nichts so leicht. Sie wollte diese Angelegenheit schnell hinter sich bringen, denn es wurde immer dunkler. Erleichtert trat sie aus dem Wald heraus und erblickte eine kleine Lichtung, in deren Mitte ein mit Gras bewachsener Hügel lag. Gott sei Dank, wenigstens gab es ihn noch. Erleichtert trat Mary näher heran. Ob es am Wetter oder an der Tageszeit lag, konnte sie nicht ausmachen, aber dieser Ort löste in ihr ein unbestimmtes Gefühl der Ruhe, ja fast des Friedens aus. Vorsichtig setzte sie sich auf den Hügel und ignoriert die Nässe, die fast augenblicklich durch ihre Kleidung drang.
Geschafft. Mary atmete befreit auf. Bald hatte sie auch den letzten Wunsch ihrer Mutter, sich zu diesem Hügel zu begeben und dort bis Mitternacht auszuharren, erfüllt. Sie schlang sich den dicken Wollmantel fester um die Schultern und dankte Susan zum wiederholten Male für ihre Umsicht. So musste sie wenigstens nicht frieren.
Und was soll ich die nächsten Stunden hier noch machen? fragte sich Mary resigniert, während sie ihre Knie fest umschlang und nach oben schaute. Vielleicht Sterne zählen, schmunzelte sie ironisch, denn der Abendhimmel zeigte bereits eine staatliche Anzahl der kleinen funkelnden Himmelslichter. Dies erinnerte sie schmerzlich an eine Campingtour mit ihren Eltern, in der sie nachts mit ihrem Vater den Himmel betrachtet und er ihr die verschiedenen Sternenbilder erklärt hatte. Ihre Mutter hatte beide am nächsten Morgen aufgezogen, weil sie beide völlig übermüdet und unausgeschlafen vor dem Zelt gesessen hatten. Sie dagegen war voller Tatendrang gewesen, die Gegend zu erkunden. Wie gewohnt hatte ihre Mutter es geschafft, sie beide durch Neckereien auf die Beine zu bringen und durch die Gegend zu jagen. Es war so offensichtlich, wie sehr ihre Eltern aneinander hingen und wie sehr sie ihre Tochter liebten. Megan hatte immer gesagt, sie hätte sich ihren Seelengefährten gewünscht und ihn auch gefunden,
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