Der schottische Verfuehrer
Realität zurück.
„Wir müssen aufbrechen, ehe die Wachen hier auftauchen“, sagte Duncan.
Benommen ließ sie sich von ihm zur Tür führen.
Von der Treppe hörten sie das entfernte Geräusch von Schritten.
Duncan machte sich fluchend frei und horchte. „Es sind mehrere Personen. Du bleibst hier. Ich komme zurück, sobald sie wieder fort sind.“ Einen kurzen Augenblick lang schien es, als wollte er noch etwas sagen, dann huschte er aus der Zelle. Er zog die Tür hinter sich zu und verriegelte sie. In der Zelle wurde es wieder dunkel, und Isabel hörte nur noch, wie er sich behutsam entfernte.
Sie sank gegen die kalten Steine und schlang schützend die Arme um ihren zitternden Leib, in der einen Hand die Stickerei, die sie Symon geschenkt hatte. Sie kämpfte gegen die Trauer, die dieser Schicksalsschlag in ihr auslöste. Nur ein Gedanke schenkte ihr ein wenig Zuspruch.
Duncan ist hier.
So oft hatte sie gebetet, er möge sie retten. In der leeren Zelle, in ihrer Einsamkeit, hatte sie ihn sich Tausende von Malen vorgestellt: sein lächelndes Gesicht und sein von der Sonne gebleichtes Haar - das Haar einer launischen Fee, so hatte sie ihn immer aufgezogen und sich daran gefreut, wie unnachahmlich ihm seine eigenwilligen Locken über die Schulter fielen.
Tränen reiner Freude waren jedes Mal in ihr aufgestiegen, wenn sie phantasiert hatte, wie er sie in die Arme schloss und seinen Mund fordernd auf ihren presste, zu einem Kuss, in dem die Entschlossenheit eines Mannes lag, der sie liebte und dessen Herz fähig war, ihr zu verzeihen. Eines Mannes, der verstand, dass sie nicht freiwillig Frasyers Geliebte geworden war.
Das Klirren von Schlüsseln am Ende des Gangs schreckte sie aus ihren Gedanken, die doch nichts als törichte Träume waren.
Symon würde sich nicht aus seinem Grab erheben.
Und Duncan würde ihr nicht vergeben, dass sie aus freiem Entschluss zu Frasyers Geliebten geworden war, wie er glaubte. Dabei hatte sie keine andere Möglichkeit gehabt - aber das konnte sie ihm noch nicht einmal erklären, hatte Frasyer doch gedroht, Duncan zu töten, sollte sie ihm von ihrem gegenseitigen Abkommen erzählen.
Genauso sehr wie Frasyers Drohung fürchtete sie allerdings Duncans Wut, wenn er die Wahrheit erfahren sollte. Er wäre zu allem fähig, darum durfte er es nicht erfahren. Er würde alles nur noch schlimmer machen.
Nun aber war Duncan hier, nicht weil er selbst es wollte, sondern weil er es Symon versprochen hatte.
Symon. Gott steh mir bei. Ihre Hand ballte sich um den Stoff mit der Stickerei. Tränen brannten ihr in den Augen. Nie wieder würde eine Umarmung ihres Bruders ihr Trost schenken, für immer hatte sie seine Stärke, sein Mitleid und seine klugen Ratschläge verloren. Stattdessen erinnerte sie sich daran, wie sehr er gelitten hatte, als sie ihm mitgeteilt hatte, Frasyers Geliebte zu werden.
Sie hatte gehofft, ihren Vater schützen und den Familiensitz retten zu können, indem sie Frasyers Bedingungen akzeptierte. Niemals hätte sie sich da vorstellen können, dass ihre Entscheidung eines Tages dazu beitragen würde, dass Symon sterben musste.
Genau das aber war geschehen.
Sie hätte ihn an jenem Tag nicht aufsuchen dürfen, vor allem nicht, da sie ihm nur ihr Geschenk hatte geben wollen. Das Wappenzeichen.
Und jetzt war er tot.
Isabel schluchzte auf, Tränen flossen ihr die Wange herab. Um sich abzulenken, wandte sie sich der Fensterhöhle zu und blickte in das kalte Schwarz der Nacht.
Sie musste hier raus und ihren Schmerz überwinden. Über die Trauer um Symon durfte sie nicht vergessen, welche Verantwortung sie für ihren Vater trug.
Sie musste die Bibel finden. Egal wie.
Als sie vor der Tür Schritte hörte, wirbelte sie herum und stopfte beim Geräusch eines Holzriegels schnell die Stickerei in die Tasche. Im Gang unterhielten sich mehrere Wächter. Plötz-lich kam es zu einem Handgemenge, und wütende Schreie erklangen wie bei einer brutalen Auseinandersetzung.
Duncan! Isabel eilte zur Tür. Das Ohr gegen das Holz gepresst versuchte sie, etwas zu verstehen.
Augenblicke später herrschte wieder Stille, bis sie vor ihrer Tür das Schaben von Stiefeln vernahm.
Sie taumelte zurück.
Das Holz knirschte, als man den Riegel an ihrer Tür zurückschob. Von einem heftigen Stoß schwang die Tür auf. Gelbliches Fackellicht durchdrang blendend die Dunkelheit der Zelle, und einer der Wächter tauchte in der Türöffnung auf.
„Hier.“ Er hielt ihr einen halben Laib hartes
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