Der schottische Verfuehrer
Brot und einen Kanten Käse hin.
Es kostete sie Mühe, einen Schritt nach vorne zu machen und das Essen entgegenzunehmen, als wäre nichts geschehen. Offenbar hatten sie Duncan nicht entdeckt. Der Lärm musste von einem der anderen Gefangenen ausgegangen sein, der Widerstand geleistet hatte.
„Zurück“, befahl der Wächter.
Isabel folgte seinem Befehl wortlos.
Er zog die Tür zu.
In der Zelle wurde es erneut grauenerregend finster. Ein kalter Luftzug traf Isabel, und sie bekam eine Gänsehaut. Am Himmel grüßte nicht ein einziger Stern die hereinbrechende Nacht.
Als sie das widerwärtige Essen beiseitelegte, schauderte es ihr vor Ekel. Der Hunger war ihr hier schon lange vergangen. Anhand des Türenknallens, das die Verteilung der Speisen begleitete, konnte sie erkennen, wie die Wächter sich von Zelle zu Zelle bewegten.
Nach einiger Zeit schließlich legte sich eine drückende Stille auf das Verlies, nur gelegentlich unterbrochen von einem jammernden Windstoß oder dem leidenden Stöhnen eines Gefangenen.
Sie fühlte sich wie lebendig begraben.
Wo war Duncan? Mit jedem Moment, den er nicht zurückkehrte, wuchs ihre Furcht. Symon hatte man ihr bereits genommen, und auch das Leben ihres Vaters war in höchster Gefahr. Da durfte sie nicht noch ihn verlieren. Leise rief sie: „Wo bist du, Duncan?“
Augenblicke verstrichen.
Ihre Angst wurde immer verzweifelter.
Sie fürchtete schon, verrückt zu werden, als endlich der Türriegel knirschte. Sie fuhr herum. Knarrend öffnete sich die Tür, und Duncan stand in der Türöffnung. Im flackernden Schein einer fernen Fackel wirkte er wie ein stolzer Gott, der die Welt herausfordern wollte.
Stolz und unerreichbar.
Nach einem vorsichtigen Blick den Gang hinunter betrat er die Zelle und schloss die Tür. Dunkelheit umgab sie. „Isabel?“ Die angstvolle Spannung, mit der sie auf seine Rückkehr gewartet hatte, verflog, und sie vergaß ihren Entschluss, ihm nicht zu nahe zu kommen. Sobald sie seine besorgte Stimme hörte, eilte sie zu ihm, und er schloss sie in die Arme, ohne einen Augenblick zu zögern. Die vertraute Berührung rief in ihr einen tiefen Schmerz hervor, eine Sehnsucht nach ihm, die wohl nie nachlassen würde.
„Gott sei Dank ist dir nichts geschehen. Du warst so lange verschwunden. Ich glaubte schon, die Wächter hätten dich gefasst.“ Es überraschte sie, wie ruhig ihre Stimme war, während in ihr ein einziger Aufruhr herrschte.
Duncan löste sich von ihr. „Als ob das einen Unterschied machen würde.“
„Ja“, hauchte sie, begierig ihm zu sagen, welch großen Unterschied es machen würde. Dass sie ihn noch immer liebte. Ihn immer lieben würde.
Er brummelte ungläubig. „Hab keine Angst, ich werde dir bei der Flucht helfen. So wie ich es geschworen habe. Und im Gegensatz zu anderen halte ich mein Wort.“
Sie zuckte zusammen, erleichtert, dass es im Dunkeln nicht zu sehen war, obwohl sie seinen Zorn verdient hatte. Aber sie konnte die Vergangenheit nicht ändern - und wie es schien auch nicht die Zukunft. Nicht nur würde sie die Schande ihres Vaters bloßstellen, sollte sie Duncan die Wahrheit sagen. Wenn Frasyer davon erfuhr, wäre außerdem noch Duncans Leben in Gefahr. So hatte es Frasyer an jenem verhängnisvollen Tag vor drei Jahren geschworen. Wenn Isabel Duncan verriet, warum sie ihn verlassen hatte, dann wollte Frasyer ihn mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften verfolgen, um ihn zu töten. Und wie Isabel wusste, würde Frasyer seinen Schwur niemals vergessen.
„ Glaub doch, was du willst. “ Sie trat einen Schritt von Duncan zurück, fast, als ob sie ihn fürchtete. Und in der Tat war ihr Verlangen nach ihm so stark, dass er ihr gefährlich werden konnte.
„Aye, das werde ich“, sagte er in grimmigem Tonfall. „Komm.“
Isabel folgte ihm zur Tür. Sie hätte Frasyers Zorn jederzeit herausgefordert, wenn es nur um sie ginge. Jedoch hingen auch ihr Vater sowie das Schicksal der Rebellen von ihr ab.
Zunächst einmal musste sie die Bibel ihrer Mutter finden, um diese zu Lord Monceaux zu bringen, König Edwards Berater für Schottland. Ihr Vater hatte oft betont, welch ein gerechter Mann der Lord war. Nun, sie würde den Engländer auf die schwerste denkbare Probe stellen.
Eine Probe, die über das Leben ihres Vaters entschied.
Was aber sollte sie machen, wenn die Bibel nicht in Frasyers Gemach war? Und selbst wenn sie die Bibel fand, wie sollte sie sie nach England bringen? Ein Pferd zu stehlen, war ein
Weitere Kostenlose Bücher