Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
ismaelitischen Schia zu verteidigen. In ihrer späten Periode, die Attar erlebte, waren die Seldschuken ohnehin mehr mit inneren Machtkämpfen als mit geistigen Ansprüchen beschäftigt, bis schließlich ihre Herrschaft zusammenbrach und es lokalen Fürsten, Banditen oder Kriegsherren überlassen war, das Volk zu drangsalieren. Es verwundert daher nicht, daß viele Fromme den Machthabern kühl, wenn nicht feindlich gegenüberstanden. Meist übt Attar Kritik, ohne den Namen des Herrschers zu nennen, oder er greift zurück auf historische Figuren wie Alexander den Großen, Harun ar-Raschid oder Mahmud von Ghazna. Gelegentlich aber – und im «Buch der Leiden» öfters als in seinen anderen Epen – nennt er den letzten großen Seldschukenherrscher Irans, Sultan Sandschar ebn-e Malekschah (gest. 1157), beim Namen. Ein Asket beschimpft ihn:
Du überfällst die Häuser, durchwühlst noch die Keller,
Nur um zu vergolden deiner Pferde Zaum.
Du vergießt das Blut so vieler Menschen, wofür?
Für Schlemmereien, gottverbotene obendrein.
Selbst den Ärmsten raubst du die Ähren,
Der gierigste aller Bettler, der bist du. (7/6, 115)
Der große Sufi Ruknoddin Akkaf erklärt es im «Buch der Leiden» sogar höhnisch zur Pflicht, dem Sultan die Armensteuer zu zahlen, gehöre doch keines seiner Güter ihm selbst: «Alles, was du besitzt, gehört den Menschen, denen du es abgenommen hast.» (7/7, 115) In einem günstigen Licht erscheinen außer den vier «Rechtgeleiteten Kalifen» nur die vorislamischen Sassanidenkönige mit Anuschirvan an der Spitze; Sultan Mahmuds Zuschreibungen wechseln. Ein sympathischeres Gegenbild zu den späteren Sultanen entwirft Attar außerdem noch im großen Wesir der frühen Seldschuken, Nezamolmolk, der als politischer Philosoph nicht nur an Macht und Reichtum interessiert war. Vor dem Hintergrund der antischiitischen Propaganda der Seldschuken müssen wohl auch Attars gelegentliche Mahnungen verstanden werden, Nachsicht gegenüber Schiiten zu üben und sie nicht mit Gewalt zum sunnitischen Islam zu bekehren (0, 38ff.).[ 40 ] Obwohl er deren Überzeugungen für falsch hält, nimmt Attar wieder eine vermittelnde Position ein, hebt er doch im Vorwort nicht nur die Vorzüge des Propheten und der vier ersten, nach sunnitischer Auffassung «Rechtgeleiteten Kalifen» hervor, sondern würdigt auch die schiitischen Imame Hassan und Hossein.
Ein Kufier (sprich: Schiit) wird gefragt, zu welcher islamischen Konfession er sich bekenne, welchen Ritus er ausübe.
– Fragt man denn nach so etwas, du widerlicher Kerl? (0, 41)
Wie mit dieser winzigen Geschichte wendet sich Attar das ganze Buch hindurch gegen Inquisition, Gewalt und den religiösen Dogmatismus, den taaṣṣob. Statt sich über die Vielfalt der Glaubensformen zu freuen, wolle dieser nur eine einzige Überzeugung gelten lassen, seine eigene. Ich nehme an, daß Attar dabei konkret die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Hanafiten und Schafiiten im Auge hatte, die in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Nischapur immer wieder eskalierten und die Zerstörung zahlreicher Moscheen und Lehrgebäude der Stadt zur Folge hatten. Im Vorwort spricht Attar ein ganzes Kapitel lang den taaṣṣob direkt an. In Anspielung auf das Hadith von den dreiundsiebzig Konfessionen,[ 41 ] in die sich Mohammeds Gemeinschaft aufteilen würde, heißt es dort zu Beginn:
Ohne dich wären siebenhundert Konfessionen in Frieden,
Wegen dir sind schon die zweiundsiebzig im Krieg.
Religionen gibt es zahllos, Wege und Völker,
Dein Leben reicht nicht, sie zu zählen.
Magst du auch nicht gemein werden mit allen,
Laß ab, dein Schwert gegen jeden zu zücken.
Du bist nur einer, versetz dich in die anderen,
Auf daß in Eintracht lebe der eine mit dem anderen. (0, 37f.)
Überhaupt sind die religiösen Würdenträger mit ihrer Heuchelei und ihrem Glaubensstarrsinn alles andere als Sympathieträger im «Buch der Leiden»: Sanai sieht einen Latrinenputzer und einen Muezzin, die beide ihrer Arbeit nachgehen.
– Die beiden nehmen sich nichts, legt Attar seinem Vorläufer in den Mund: Der eine ist so unwissend wie der andere, und beide arbeiten für’s Brot. Aber nein, verbessert San?ai sich im gleichen Atemzug selbst: Der Latrinenputzer ist wahrscheinlich doch besser als der Mann aus der Moschee;
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