Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
für religiöse Toleranz, der Spott über die Reichen und Herrscher, sie sind konkret und im selben Moment allegorisch. Mit Verve attackiert Attar die Minister und Beamten, die brutalen Steuereintreiber natürlich, vor allem aber die Herrscher: «Ich kenne keine andere islamische schrift, in der die soziale kritik an den machthabern in solcher schärfe zum ausdruck käme», bemerkte Hellmut Ritter.[ 37 ] Wo immer die Herrscher im «Buch der Leiden» auftreten, sind sie von Gier und Habsucht verblendet, sind sie launisch, eifersüchtig, gewalttätig, ungerecht. Vom Blut der armen Leute ernähren sie sich, nach Blut stinken die Ministerien. Da trifft es sich, daß sich das persische Wort für Behörde oder Regierung, diwān, trefflich für Wortspiele mit diwāneh («verrückt») eignet. So entstehen Alltagsseufzer, bar jeder Mystik, dafür zeitlos gültig:
Denk ich an die Behörde,
Bin ich um den Verstand gebracht. (13/2, 172)
Mit ihren schnellen Hinrichtungsbefehlen, sinnlosen Feldzügen und willkürlichen Entscheidungen stellen die Herrscher bei Attar eine Gefahr dar für jeden anständigen Menschen. Sie rauben den Leuten ihr Geld und behaupten, es sei ihr Eigentum: Ein alter Mann findet ein Geldstück, schon schwarz geworden und wertlos, auf der Straße und will es dem überlassen, der am bedürftigsten ist. Überall hält er Ausschau, um schließlich in die Audienz des Königs zu gehen und ihm die Münze zu schenken. Der König gerät in Zorn:
– Bedarf ich eines solchen Stückes?
– Du mußt der bedürftigste aller Menschen sein, antwortet der Alte, daß es keine Moschee und keinen Markt gibt, an dem nicht Geld für dich verlangt würde. Keine Pore ist an dir, die nicht etwas begehrt. An allen Türen bettelst du, und warum? Nur damit du für eine Weile den König spielen kannst. (7/7, 115)
Stolz war Attar, sich niemals als Hofdichter prostituiert zu haben, anders als die meisten der Dichterkollegen seiner Umgebung, anders aber auch als sein Vorgänger und wahrscheinliches Vorbild Sanai, dessen Diwan viele Loblieder auf Fürsten und religiöse Würdenträger enthält. Sogar den großen Ferdousi kritisierte Attar, weil er sich für sein «Königsbuch» (Šāhnāmeh) von Sultan Mahmud von Ghazna (gest. 1030) bezahlen ließ (E1, 367).[ 38 ] Ein Herrscher läßt Bohlul, dem bekanntesten unter den weisen Narren der islamischen Kultur, Essen reichen. Dieser wirft es den Hunden hin.
– Das hat noch nie jemand getan! erschrecken die Umstehenden und ereifern sich über Bohluls Unverfrorenheit: Weißt du denn nicht, mit welchem Schah du es zu tun hast?
– Haltet den Mund! weist Bohlul sie zurecht: Wenn die Hunde hören, von wem das Essen stammt, rühren sie es nicht einmal unter Schlägen an. (7/5, 114)
Ein andermal begibt sich Bohlul – ein unauffälliger Sprung von zweihundert Jahren zurück in der Zeit – zu Harun ar-Raschid (gest. 809) und setzt sich ungeniert auf dessen Thron. Sofort stürzen sich die Wachen auf ihn und schlagen ihn blutig.
– Nur einen Augenblick habe ich hier gesessen, und schon hat man mich blutig geschlagen, ruft Bohlul zum Kalifen: Dir wird man, weil du nun schon ein ganzes Leben auf diesem Throne sitzt, alle Knochen brechen. (7/10, 117)
Attar wuchs unter den Seldschuken auf, deren Herrschaft sich vom altarabischen Stammessystem mit seinen vielen Führern ebenso entfernt hatte wie von der frühislamischen Theokratie, in der die vier «Rechtgeleiteten Kalifen» (al-ḫulafaar-rāšidūn) auch als theologische Statthalter des Propheten auftraten. Im 12. Jahrhundert hielt das Kalifat in Bagdad den religiösen Charakter der Herrschaft über die muslimische Gemeinde nur noch der Form nach aufrecht; die reale Macht war längst auf rein weltliche Machthaber übergegangen, die sich oft nicht einmal mehr zum Schein theologisch legitimierten. So ist in der Herrschaftsdoktrin, die der berühmte Seldschukenwesir Nezamolmolk (ermordet 1092) in seinem Fürstenspiegel (Siyāsatnāmeh) entwickelt, viel von Frieden, Gerechtigkeit und Wohlfahrt die Rede, aber kaum je vom Kalifat und den religiösen Bedingungen des politischen Amtes. Statt dessen verweist der Wesir lapidar auf die Fügung Gottes, die einem Aspiranten den Sieg über seine Konkurrenten beschere.[ 39 ] Indem sich die Seldschuken als Beschützer der Sunna ausgaben, traten sie zwar mit einer theologischen Mission an, doch zielte sie darauf, gerade die Weltlichkeit der Macht gegen die theokratischen Ansprüche der
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