Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
Frau ihn auch deswegen verlachen. Als seine drei Freunde von dem Unglück hören, das über Hiob hereingebrochen ist, kommen sie, ein jeglicher aus seinem Ort, Eliphas von Theman, Bildad von Suah und Zophar von Naema, und sitzen mit ihm sieben Tage und sieben Nächte auf der Erde, ohne anderes zu tun, als zu weinen und sich die Kleider zu zerreißen vor Kummer, «denn sie sahen, daß der Schmerz sehr groß war» (2,13). Erst jetzt hebt Hiob zu jener Klage an, deren erster Satz uns in der Attar’schen und anderen Varianten bereits vielfach begegnet ist: «Der Tag müsse verloren sein, darin ich geboren bin, und die Nacht, welche sprach: es ist ein Männlein empfangen!» (3,3)
Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen (die des Todes warten, und er kommt nicht, und grüben ihn wohl aus dem Verborgenen, die sich sehr freuten und fröhlich wären, wenn sie ein Grab bekämen), dem Manne, dessen Weg verborgen ist und vor ihm von Gott verzäunt ward? Denn wenn ich essen soll, muß ich seufzen, und mein Heulen fährt heraus wie Wasser. Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und was ich sorgte, hat mich getroffen. (3,20–24)
Entscheidend an dieser Klage ist: Hiob leidet ohne jeden Grund. Er kann seine Not nicht auf sein Tun zurückführen. Als moralisch Höchststehenden unter den Menschen hat Gott ihn ins Elend stürzen lassen. «So merkt doch einmal, daß mir Gott Unrecht tut und hat mich mit seinem Jagdstrick umgeben», ruft Hiob: «Siehe, ob ich schon schreie über Frevel, so werde ich doch nicht erhört; ich rufe, und ist kein Recht da.» (19,6f.) Hätte er sich versündigt, würde Hiob sein Unleid als Strafe verstehen, doch Gott straft ohne Ansehen von Gründen. Außer Kraft gesetzt ist die Kausalität von Sünde und Strafe, Rechtschaffenheit und Lohn: «Er bringt um beide, den Frommen und den Gottlosen.» (9,22) Und Hiob lehnt sich gegen Gott auf, weil er genau weiß, daß er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Gott hat die Welt ungerecht eingerichtet.
Sage ich, daß ich gerecht bin, so verdammt er mich doch; bin ich unschuldig, so macht er mich doch zu Unrecht. Ich bin unschuldig! ich frage nicht nach meiner Seele, begehre keines Lebens mehr. Es ist eins, darum sage ich: Er bringt um beide, den Frommen und den Gottlosen. Wenn er anhebt zu geißeln, so dringt er alsbald zum Tod und spottet der Anfechtung der Unschuldigen. Das Land aber wird gegeben unter die Hand des Gottlosen, und der Richter Antlitz verhüllt er. Ist’s nicht also, wer anders sollte es tun? (Hiob 9,20–24)
Die Freunde sind entsetzt über Hiobs Worte und reden auf ihn ein, daß jegliches Leid von Schuld zeuge, allein, Hiob weist jeden einzelnen zurück. Noch ein vierter Besucher taucht auf, Elihu, der Hiob mahnt, bevor Gott schließlich antwortet – wenn Seine Worte überhaupt als Antwort zu bezeichnen sind. Denn Gott erklärt sich nicht, geht nicht einmal auf Hiobs Fragen ein, sondern verweist lediglich stur auf seine Größe und die Macht- und Ahnungslosigkeit des Fragers, der nicht «die Bande der sieben Steine zusammenbinden» (38,31) kann, ein unfähiger, hilfloser, unwissender Wurm vor dem allmächtigen Herrn. Der höhnt: Nicht einmal die Zeit, «wann die Gemsen auf dem Felsen gebären» (39,1), kennt Hiob. Auf die schier endlose Eloge Gottes auf sich selbst, deren groteske Züge Robert Gernhardt in einer kurzen Nacherzählung so treffend wie komisch herausgestellt hat,[ 1 ] weiß Hiob keine Antwort zu geben. Er gibt zu, unbesonnen geredet zu haben, und legt die Hand auf den Mund, um fortan zu schweigen, bevor die Geschichte eine zweite überraschende Wendung nimmt: Gott rechtfertigt Hiob vor dessen frommen Freunden, obwohl jener sich gegen Gott aufgelehnt hat, die Freunde Gott verteidigt haben. Hiob wird mit Schätzen belohnt, gründet eine neue Familie und lebt hernach noch hundertundvierzig Jahre, sieht Kinder und Kindeskinder bis in das vierte Glied und stirbt lebenssatt. Das ist die Geschichte Hiobs, die Attar in vielen Geschichten neu erzählt.
Das biblische Buch Hiob folgt zwei gegenläufigen Linien: So vehement Hiob sich auflehnt, so bedingungslos fügt er sich. Ernst Bloch hat die Auffassung vertreten, daß der Aspekt der Fügung dem Urhiob nachträglich hinzugefügt worden sei, um die Häresien zu decken, «auf deren Bekundung es vor allem ankam».[ 2 ] Damit greift er die These von Horace Meyer Kallen auf, wonach die Endredaktion den orthodoxen Rahmen aus Prolog und
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