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Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)

Titel: Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Versöhnung um die ursprüngliche, ketzerische Dichtung gelegt habe.[ 3 ] Mir scheint, daß die widerstreitenden Tendenzen zusammen das Buch Hiob ausmachen. Mag die Redaktion den Text geglättet und ergänzt haben, so ist es schon aus philologischen Gründen unwahrscheinlich, daß sich die Änderungen schematisch auf Anfang und Ende beschränken oder darauf, die Provokation des Buches einzudämmen. Einzelne Forscher meinten zwar, daß die Prosaerzählung des Rahmens erst nachträglich mit der Hiobdichtung verbunden wurde, als wahrscheinlicher gilt jedoch, daß sie dem Dichter des Hiob als Volkssage schriftlich oder in mündlicher Form bereits vorgelegen und er selbst sie bearbeitet hat.[ 4 ] Aber selbst wenn man von solchen texthistorischen Argumenten absieht, überzeugt eine schematische Aufteilung in einen rebellischen und einen fügsamen Hiob auch inhaltlich nicht. Eben darum ist es dem Buch Hiob zu tun, die gegensätzlichen Affekte, die das Elend hervorruft, festzuhalten. Es ist kein Zeugnis engagierter Literatur, vielmehr eine komplexe Komposition aus gegenläufigen Motiven, die sich nicht gegenseitig aufheben. So unterschätzt Bloch die Reden der Freunde Hiobs, von denen jedenfalls die ersten drei der ursprünglichen Dichtung angehören dürften. Die Freunde sind keine trüben Moralapostel, als die Bloch sie denunziert; vor allem Eliphas vertritt einen ernsthaften Standpunkt, auch aus Sicht des Dichters. Die Lektüre Attars trägt dazu bei, diese Ambivalenz, die das Buch Hiob ausmacht und auszeichnet, genauer zu verstehen.
    Hiob ist das biblische Grundbuch der Erfahrung, daß Gott ungerecht sein kann, aber es steht in der Bibel nicht allein. Israel hielt es beinah für selbstverständlich, daß Gott Übel über die Menschen bringt, und nahm es nicht durchweg als verdiente Strafe hin. Achtet man auf den Subtext, zieht sich ein roter Faden der Rebellion des Menschen gegen Gott durch die Hebräische Bibel (sofern man ihre Bücher nicht nach der Chronologie der Textentstehung liest: das Motiv taucht vor allem in den späteren, nachexilischen Texten auf). Von Adam und Eva über die Kainssage zum Turmbau zu Babel, Jakobs Kampf am Jabbok bis hin zu Propheten wie Jona oder der widerspenstigen Frau Hoseas mißtrauen die Menschen Gottes Ratschluß, stehen im Konflikt mit Ihm oder begehren offen auf. Selbst Mose fragt: «Herr, warum tust du so übel an diesem Volk?» (2. Mose 5,22), und ähnlich wendet sich Elia an Gott: «Herr, mein Gott, hast du auch der Witwe, bei der ich ein Gast bin, so übel getan, daß du ihren Sohn tötetest?» (1. Kön. 17,20) Wird Mose und Elia immerhin geantwortet, so bleiben jene Seelen ungetröstet, die das Glück des sündigen Königs Manasse (2. Kön. 21,1–18) und das Unglück seines treuen Nachfolgers Josia (2. Kön. 22, 1–27) nicht für gerecht halten können. «Herr, wenn ich gleich mit dir rechten wollte, so behältst du doch recht», hebt Jeremia an; «dennoch muß ich vom Recht mit dir reden. Warum geht’s doch den Gottlosen so wohl, und die Verächter haben alles die Fülle?» (Jer. 12,1) In seinen Klageliedern ist die Anfrage an Gott zugleich verschärft und zu einer eigenen literarischen Form stilisiert.
    Herr, schaue und sieh doch, wen du so verderbt hast! Sollen denn die Weiber ihres Leibes Frucht essen, die Kindlein, so man auf Händen trägt? Sollen denn Propheten und Priester in dem Heiligtum des Herrn so erwürgt werden? Es lagen in den Gassen auf der Erde Knaben und Alte; meine Jungfrauen und Jünglinge sind durchs Schwert gefallen. Du hast gewürgt am Tage deines Zorns; du hast ohne Barmherzigkeit geschlachtet. (Klagel. 2,20–22)
    Der Text, der als ältestes der fünf Klagelieder Jeremias gilt und wahrscheinlich kurz nach der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar II. (gest. 562 v. Chr.) im Jahr 587 v. Chr. entstanden ist, wühlt auf durch den Realismus, mit dem er die Katastrophe darstellt: Frauen, die zum Kannibalismus gezwungen werden, Propheten und Priester im Tempel ermordet, Kinder und Greise abgeschlachtet. Gewiß, größtenteils bestehen die Klagelieder aus Selbstanklagen. An Stellen wie diesen jedoch weisen sie immer wieder auf Gott, dessen Handeln zu grausam, zu willkürlich ist, als daß es Seine Gerechtigkeit nicht in Zweifel zöge. Kinder, Ungeborene gar, die von ihren Müttern gefressen werden, gehen nicht auf in einem Modell aus Schuld und Sühne (beziehungsweise einem Zusammenhang von Tat und Ergehen, um genauer zu sein). Der alttestamentliche

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