Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
hat als ich?
– Gibt es, spricht Gott und schickt einen Wolf, der sich schnurstracks auf den Narren stürzt.
Der Wolf wirft den Narren zu Boden, reißt ihm das Hemd vom Leib und beißt ihn halbtot, bis der Narr endlich schreit:
– Herr! Sei so gütig, töte mich nicht auf so jämmerliche Weise. Das Leben ist doch so wertvoll. Ist ja schon gut, ich glaub’s Dir, es gibt noch Hungrigere als mich. Nie wieder will ich um Brot bitten. Ich bin schon ganz und gar satt, ganz bestimmt. In diesem Augenblick gibt es niemanden, der so satt ist wie ich. Ich will Dich nie wieder um etwas bitten, ich versprech’s. Aber mußtest Du wirklich hier in dieser Ödnis, wo ich seit Wochen kein Lebewesen angetroffen habe, ausgerechnet einen Wolf auf mich hetzen?
Da erhört Gott das Flehen des Narren und läßt das wilde Tier davonziehen. (2/7, 79f.)
Attars Dichtung geht immer wieder über in die Groteske, und in diesem Übergang ist wohl auch schon die Vernichtung jener Ordnung vorweggenommen, an die noch appelliert wird. Angelegt ist das schon in der Hiobdichtung selbst, die auch mit einem anderen, einem düsteren Ende keineswegs absolut tragisch im Sinne Kotts zu nennen wäre. In den Augen seiner Umwelt gehen Hiobs Züge ins Närrische über. Joseph Roth (gest. 1939) hat das gesehen, daß er in seiner Adaption des Stoffes eben diesen Aspekt verstärkt hat. Als die Nachbarn entdecken, daß Mendel sein Haus angezündet hat, ruft dieser ihnen zu:
«Ich will mehr verbrennen als nur ein Haus und mehr als einen Menschen. Ihr werdet staunen, wenn ich euch sage, was ich wirklich im Sinn hatte. Ihr werdet staunen und sagen: Auch Mendel ist verrückt, wie seine Tochter. Aber ich versichere euch: ich bin nicht verrückt. Mehr als sechzig Jahre war ich verrückt, heute bin ich es nicht.»
«Also sag uns, was du verbrennen willst!»
«Gott will ich verbrennen.»[ 77 ]
So teuer Attar die Narren sind, so bleibt doch die Grunddisposition auch im «Buch der Leiden» tragisch. Der Schrecken Gottes ist darin eine Realität, keine Einbildung. Attars Menschen – genauso wie Hiob, Jeremia oder manche Psalmisten – erfahren Gott noch als Gegner, als Feind, als nicht zu rationalisierende Gefahr, vor der man sich schützen, ja wortwörtlich ducken muß. Attar schildert diese Erfahrungen teilweise mit Mitteln der Groteske und stellt damit einen Übergang von der Welt der Bibel zu jener der literarischen Moderne her; aber die Erfahrung wird keineswegs schon als Einbildung kenntlich gemacht. Der Mystiker Schibli besucht ein Irrenhaus. Dort bittet ein junger Irrer – einer von denen, die mit Gott vertraut sind, wie Attar hervorhebt – den berühmten Mystiker um einen Gefallen. Bei seinem nächsten Gebet möge Schibli Gott fragen, warum Er ihn, den Irren, so sehr quäle, warum Er ihn an einem fremden Ort festhalte, gefesselt, frierend, fern der Eltern, in Hunger und Kälte, nur mit Lumpen bekleidet; warum Er so unbarmherzig sei, ganz ohne Großmut: Warum Er ein Feuer in sein Herzen geworfen habe, aber kein Wasser bereitstelle, es zu löschen; warum Gott ihm nicht erlaube, sich von Ihm zu befreien. Wie viele Beschreibungen bezieht sich auch diese auf das Leben einer konkreten Person (des hungrigen Bewohners einer Irrenanstalt in diesem Fall) und meint zugleich das allgemeine Schicksal des Menschen: an einem fremden Ort zu sein, gefesselt, wurzellos, fern der kindlichen Geborgenheit. Schibli verspricht dem Irren, die Botschaft auszurichten, und wendet sich weinend ab. Als er schon aus der Tür gegangen ist, ruft der Irre ihm plötzlich nach:
– Nein, nein, bitte sage Gott doch nichts von dem, was ich dir aufgetragen habe, bloß nicht. Wenn du es Ihm sagst, macht Er es noch hundertmal schlimmer. Ich werde Ihn um nichts bitten, es macht ja ohnehin nichts Eindruck auf Ihn, Er ist sich doch selbst genug. (2/5, 77f.)
Der Kampf mit Gott ist im «Buch der Leiden» nicht deshalb grotesk, weil Gott gar nicht existiert, sondern weil Er übermächtig ist. Ein verarmter Narr, der Sultan Mahmud von Ghazna mit einem großen Heer und fast fünfhundert Elefanten ins Feld ziehen sieht, schaut in den Himmel und ruft:
– Hier kannst du das Königsein lernen!
– So etwas sagt man doch nicht, erschrickt der Sultan.
– Was soll ich denn tun? verteidigt sich der Narr: Wenn du mit deinem Heere und deinen Elefanten ins Feld ziehst, kämpfst du dann gegen einen Bettler? Nein! Gegen einen König ziehst du! Ein König kämpft gegen einen König, niemals gegen einen
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