Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte (German Edition)
Bettler. Gott jedoch läßt dich in Ruhe Sultan sein und führt statt dessen Tag und Nacht Krieg gegen einen Bettler wie mich. (22/1, 215)
Der Mensch erhebt sich über Gott
Daß der Mensch Gott an Moral überragen kann, ist eine von vielen Möglichkeiten, auf die Attar nicht im Koran gestoßen ist. In der Hebräischen Bibel hingegen wird es gedacht: An vielen Stellen steht Jahwe, außer in bezug auf seine Macht, hinter den Menschen. Explizit sagt es Hiob, der auf seiner Schuldlosigkeit beharrt und darauf, daß Gott Unrecht tut. Gegen Gottes Gewalttaten, die sich durch die gesamte Bibel bis in die Offenbarung des Johannes ziehen, wo lediglich 144.000 Menschen Seinem Gericht entgehen, gegen diese Geschichte des Furors hält Hiob immerfort fest an der Gesetzestreue, der Aufrichtigkeit, der Mildtätigkeit, die Ihm derselbe Gott auferlegt hat: «Habe ich jemanden sehen umkommen, daß er kein Kleid hatte, und den Armen ohne Decke gehen lassen? Haben mich nicht gesegnet seine Lenden, da er von den Fellen meiner Lämmer erwärmet ward?» (31,19f.) Indem Jahwe auf Hiobs Appell an Seine Moral mit einer Demonstration Seiner Macht reagiert und ihn in den Staub erniedrigt, erhöht Er Hiob unwissentlich, wie C. G. Jung bemerkte: «Damit spricht er sich selber das Urteil und gibt dem Menschen jene Genugtuung, die wir im Buche Hiob so schmerzlich vermissen.»[ 78 ] Auch Ernst Bloch stellt fest: «Ein Mensch überholt, ja überleuchtet seinen Gott, das ist und bleibt die Logik des Buches Hiob, trotz der angeblichen Ergebung am Schluß.»[ 79 ] Mit der gleichen Logik rufen in völliger Verkehrung der koranischen Anschauung Attars Narren Gott zu, Er solle sich gefälligst ein Beispiel an den Menschen nehmen, solle sich benehmen, von den Menschen lieben lernen. «Aber ich, wär’ ich allmächtig, sehen Sie, wenn ich so wäre, und ich könnte das Leiden nicht ertragen, ich würde retten, retten», sagt das ganz ähnlich Büchners Lenz.[ 80 ] Und Schopenhauer denkt sich schaudernd in diesen Gott hinein: «Wenn ein Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht der Gott seyn: ihr Jammer würde mir das Herz zerreißen.»[ 81 ] Ein Kaufmann gerät ins Elend, das Attar mit der gewohnten Hingabe schildert: hungrig, Herz und Verstand verloren, alt, hilflos, zu allem Unglück auch noch bankrott, von seinen Gläubigern ins Gefängnis gezwungen und so weiter.
Eines Nachts sprach er still zu Gott:
O Führer Du, o Wegweiser,
Wär ich an Deiner Stelle und Du wärst ich,
Ich hätte Ruhe von Dir für immer, und Dich,
Keine Sekunde setzt’ ich Dich aus solchem Kummer,
Ging mit Dir besser um, als Du verfährst mit mir. (22/2, 215f.)
Im «Buch Gottes» nimmt Attar die Grausamkeit Gottes sogar zum sarkastischen Beweis für die Wahrheit des Islams, als hätte er sich die gleiche Frage gestellt wie einige Jahrhunderte später C. G. Jung: «Was ist das für ein Vater, der lieber den Sohn abschlachtet, als daß er seinen übelberatenen und von seinem Satan verführten Geschöpfen großmütig verzeiht?»[ 82 ] Einem christlichen Kaufmann stirbt der schöne und liebevolle Sohn. Der Vater, der vor Schmerz vergeht, bekehrt sich daraufhin zum Islam:
– Jetzt erkenne ich, daß die Muslime recht haben, wenn sie sagen, daß Gott keinen Sohn haben kann, denn wenn Gott einen Sohn gehabt hätte, dann hätte Er mir das nicht angetan.[ 83 ]
Durch seine Fähigkeit zum Mitleid wächst ein weiterer trauernder Vater moralisch über Gott hinaus:
– Du bist entschuldigt, wenn Du mir das angetan hast, denn Du hast ja keinen Sohn und verstehst nichts vom Schmerz eines Vaters.[ 84 ]
«Das Buch der Leiden» führt kaum noch Entschuldigungen für Gott an. Er ist nicht nur nicht besser als die Menschen, nein: Er ist viel schlechter, hat keine Manieren, setzt sich über die grundlegenden Regeln der Höflichkeit, des Anstands und der Nächstenliebe hinweg. Deshalb appellieren die Narren schon nicht mehr an die Güte Gottes, sondern daran, daß Ihm das Quälen doch irgendwann langweilig werden muß:
Jener Narr richtete sich auf, streckte
Das Gesicht zum Himmel und rief:
Falls Dein Herz nicht müde geworden ist
Des jämmerlich Treibens,
Meins ist es längst! Wie lang soll das gehen?
Hast Du dies Tun niemals denn satt? (27/6, 251)
Selbst die ärgsten Feinde Gottes sind barmherziger als Er: Pharao sieht, wie eine Kiste mit dem kleinen Mose vom Wasser weggetragen wird. Um
Weitere Kostenlose Bücher